An Rosalie!
Traue, schwaches Mädchen, nimmer einem Manne,
Honig trägt er auf den Lippen, Gift im Herzen,
Heuchelei sind seine Worte, Meineid seine Schwüre,
Womit er dich Arme zu betäuben sucht.
Selbstsucht ist des Mannes Name! sein Geschlecht nur achtend,
Ist es ihm ein Spiel, das unsre zu betrügen.
Höhnisch lächelnd weidet er an seinem Opfer sich;
Unsre Thränen sind ihm Wonne, Zeugen seines Sieges,
Unsre Klagen ihm Triumphgesänge, übermüthig
Spricht er zu sich selbst: „ich bin der Herr der Schöpfung,
Meinen Wünschen unterthänig ist das Weib.“
Mit dem Stolz des Siegers raubt er unsre Rechte,
Sklavenfesseln schlingt er um das freie Weib.
O drum flieh‘ in deinem Blüthenalter selbst den Besten,
Flehend ist er Sklav – ergiebst du dich – Tyrann.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „An Rosalie!“ von Kathinka Zitz-Halein richtet sich in einer eindringlichen und warnenden Weise an ein junges Mädchen namens Rosalie. Es beschreibt die Gefahren, die von Männern ausgehen können, die in ihrer Selbstsucht und Heuchelei Frauen manipulieren und ausbeuten. Der Sprecher warnt Rosalie davor, einem Mann zu trauen, der mit „Honig auf den Lippen“ und „Gift im Herzen“ agiert. Die scheinbare Süße seiner Worte soll nur dazu dienen, sie zu täuschen und zu betäuben, während er sie in Wahrheit betrügt und für seinen eigenen Vorteil ausnutzt.
Im weiteren Verlauf des Gedichts wird das männliche Verhalten als von Selbstsucht und Machtgier geprägt dargestellt. Die Männer werden als „Höhnisch lächelnd“ beschrieben, während sie sich an ihren Opfern weiden und die Tränen der Frauen als „Wonne“ empfinden. Diese Darstellung zeigt die rücksichtslose Ausnutzung der Frauen und die Verachtung für ihre Gefühle. Der Mann wird in einer überheblichen Haltung als „Herr der Schöpfung“ beschrieben, der das Weib als unterwürfiges und demütiges Wesen sieht, das seinen Wünschen zu dienen hat.
Die dramatische Schilderung von „Sklavenfesseln“ und der Zwangsunterdrückung des „freien Weibes“ verdeutlicht das Bild eines patriarchalischen Systems, das Frauen die Freiheit und Rechte raubt. Der Mann ist hier nicht nur ein individueller Betrüger, sondern wird als Symbol für eine gesellschaftliche Struktur dargestellt, die Frauen unterdrückt und ihre Autonomie missachtet. Der Höhepunkt des Gedichts ruft Rosalie dazu auf, sich nicht nur vor einem schlechten Mann zu schützen, sondern auch vor der ganzen Idee, einem vermeintlich „guten“ Mann zu verfallen, da dieser ebenfalls Macht ausüben und tyrannisch werden kann, wenn er die Freiheit der Frau in den Händen hält.
Zitz-Halein verwendet eine kraftvolle und entschlossene Sprache, um die soziale Stellung der Frau und die Gefährdung durch patriarchalische Strukturen zu thematisieren. Das Gedicht ist eine klare Warnung vor der Verführung und Manipulation durch Männer und ein Aufruf zur Selbstbestimmung und Wachsamkeit. Der Appell an Rosalie, sich vor dem „Besten“ zu schützen, spiegelt die Idee wider, dass echte Freiheit und Gleichberechtigung nicht durch die Unterwerfung unter einen Mann erlangt werden können, sondern durch das eigenständige Leben und Handeln der Frau.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.