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Die Töne

Von

Ihr tiefen Seelen, die im Stoff gefangen,
Nach Lebensodem, nach Befreiung ringt;
Wer löset eure Bande dem Verlangen,
Das gern melodisch aus der Stummheit dringt?
Wer Töne öffnet eurer Kerker Riegel?
Und wer entfesselt eure Aetherflügel?

Einst, da Gewalt den Widerstand berühret,
Zersprang der Töne alte Kerkernacht;
Im weiten Raume hier und da verirret
Entflohen sie, der Stummheit nun erwacht,
Und sie durchwandelten den blauen Bogen
Und jauchzten in den Sturm der wilden Wogen.

Sie schlüpften flüsternd durch der Bäume Wipfel
Und hauchten aus der Nachtigallen Brust,
Mit muthigen Strömen stürzten sie vom Gipfel
Der Felsen sich in wilder Freiheitslust.
Sie rauschten an der Menschen Ohr vorüber,
Er zog sie in sein innerstes hinüber.

Und da er unterm Herzen sie getragen,
Heist er sie wandlen auf der Lüfte Pfad
Und allen den verwandten Seelen sagen,
Wie liebend sie sein Geist gepfleget hat.
Harmonisch schweben sie aus ihrer Wiege
Und wandlen fort und tragen Menschenzüge.

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Gedicht: Die Töne von Karoline von Günderode

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Töne“ von Karoline von Günderode beschäftigt sich mit der Entstehung und der befreienden Kraft der Musik. Es thematisiert, wie Klänge und Melodien aus der Stummheit erlöst werden und als Ausdruck innerer, gefangener Seelen ihren Weg in die Welt finden. Im Zentrum steht dabei die Idee von Musik als etwas Ursprünglichem, das sich aus einer Art kosmischem Gefängnis löst und sich frei entfaltet.

In der ersten Strophe wird die Vorstellung eingeführt, dass die „tiefen Seelen“ – die Töne – im „Stoff gefangen“ sind und nach Befreiung streben. Die poetische Sprache mit Begriffen wie „Kerker“ und „Aetherflügel“ gibt der Musik eine fast mythische Dimension. Musik erscheint hier als etwas, das eine Transzendenz anstrebt und aus der Materie herausdrängt, um das Geistige, das Erhabene zu erreichen.

Die zweite und dritte Strophe schildern den Moment der Befreiung: Durch eine Art „Gewalt“ zerspringt die „Kerkernacht“ und die Töne entweichen in die Welt. Die Natur wird zur Bühne ihrer Freiheit – sie „jauchzen in den Sturm“, „flüstern durch der Bäume Wipfel“ und erklingen in der Nachtigall. Die Musik durchdringt die Natur und wird gleichzeitig von den Menschen aufgenommen und im Innersten verinnerlicht. Die Sprache ist hier besonders bildreich und dynamisch, mit starken Naturmetaphern, die die Lebendigkeit und Kraft der Töne unterstreichen.

In der letzten Strophe wird der Mensch zum Mittler der Musik: Nachdem er die Töne „unterm Herzen“ getragen hat, sendet er sie hinaus in die Welt, damit sie anderen Seelen von seiner inneren Harmonie und Liebe berichten. Die Musik wird so zum Ausdruck der menschlichen Gefühlswelt und schafft eine Verbindung zwischen den Seelen. Das Gedicht zeigt die Musik als spirituelle Kraft, die sowohl Natur als auch Mensch durchdringt und harmonisch miteinander verbindet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.