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An die Könige

Von

Soll wieder eine ganze Welt vergehen?
Bricht wieder eine Sündfluth ein?
Und sollen wieder alle Tempel und Trophäen
Berühmte Trümmer seyn?

Und alle Künste spät aus Asch‘ und Moder
Und Todtengrüften aufersteh’n,
Und aus der Nacht des regellosen Zufalls oder
Auf ewig untergeh’n?

Wenn nun die weise Vorwelt ausgestorben,
Das unerzogne Kindeskind
Ein Räuber ist; die nicht zu Räubern angeworben,
Armsel’ge Pflüger sind? –

O ihr, verderblicher, als der entbrannte
Vesuv, als unterirdische
Gewitter! ihr des magern Hungers Bundsverwandte,
Der Pest Verschworene!

Die ihr den schnellen Tod in alle Meere
Auf Donnergaleonen bringt,
Und von Lisboa bis zum kalten Oby Heere
Zum Wechselmorde dingt!

Und ach! mit Deutschlands Bürgern Deutschlands Bürger
Zerfleischet, einen bessern Held,
Der Brennen weisen König zu betrüben, Würger
Der Welt und Afterwelt!

Wenn eurer Mordsucht einst ein Friede wehret,
Der jedem das geraubte Land
Und seine bangen Feste wieder gibt, – verheeret,
Entvölkert, abgebrannt:

Ihr Könige, wie wird es euch nicht reuen,
(Wo nicht die fromme Reue fleucht,
Durch Wollust, falsche Weisheit, lauter Schmeicheleien
Des Höflings weggescheucht)

Daß euer Stahl unmenschlich Millionen
Urenkelsöhne niederstieß:
Daß keiner, satt des Unglücks, seine Legionen
Das Blutfeld räumen hieß,

Und lieber, schuldlos, tapfer, durch die Wogen
Des stillen Oceans den Pfad
Gesuchet, eine Welt entdeckt, ein Volk erzogen,
Wie Manko Kapak that,

Der neue Schöpfer seiner Vatererde:
Er theilte Feld und Binsenhaus
Und Weib und Kleid und Zucht und Götter einer Heerde
Zerstreuter Wilden aus;

Und hieß dem frommen Volk ein Sohn der Sonne,
Gleich milde, wachsam so wie sie,
Und so wie sie des neugebornen Landes Wonne,
Und ewig jung wie sie.

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Gedicht: An die Könige von Karl Wilhelm Ramler

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An die Könige“ von Karl Wilhelm Ramler ist ein leidenschaftliches und moralisch aufgeladenes Mahnwort an die Monarchen seiner Zeit. In eindringlicher Sprache klagt es die verheerenden Folgen des Krieges an und stellt das verantwortungslose Handeln der Herrschenden in scharfen Kontrast zu einer idealisierten Vorstellung von weiser und fürsorglicher Führung. Ramlers dichterischer Appell gehört in die Zeit der Aufklärung, in der sich verstärkt Kritik an absolutistischer Willkür und militaristischer Machtpolitik artikulierte.

Bereits in der ersten Strophe wird die Dimension des Unheils betont: Die Welt droht erneut unterzugehen wie bei einer biblischen Sintflut. Es steht nicht nur das Schicksal einzelner Nationen auf dem Spiel, sondern die gesamte Zivilisation – Tempel, Trophäen, Kunst und Kultur könnten zu bloßen „berühmten Trümmern“ werden. Damit entwirft Ramler ein eindrucksvolles Bild kultureller und moralischer Rückentwicklung, hervorgerufen durch die Gewalt der Könige.

In den folgenden Strophen wird die düstere Zukunftsvision weiter ausgeführt: Eine Welt, in der die Nachgeborenen zu Räubern oder verelendeten Bauern verkommen, weil ihre Vorfahren von Krieg und Zerstörung geformt wurden. Die Anklage der Könige erfolgt mit drastischen Bildern – sie werden als schlimmer als Naturkatastrophen dargestellt, als „Verschworene“ der Pest, als Bringer des Hungers und des Todes. Besonders scharf ist der Vorwurf der innerdeutschen Kriege, in denen „Deutschlands Bürger Deutschlands Bürger / Zerfleischet“ – ein Hinweis auf die politischen Zersplitterungen und dynastischen Konflikte im Heiligen Römischen Reich.

Ramler stellt diesem zerstörerischen Königtum ein Ideal entgegen, verkörpert durch Manko Kapak, den legendären Gründer des Inkareichs. Er erscheint als gerechter und gütiger Herrscher, der eine neue Welt ordnet, Bildung und Gemeinschaft stiftet und als „Sohn der Sonne“ göttliche Eigenschaften trägt. Der Kontrast könnte größer nicht sein: Während die europäischen Könige blutige Spuren hinterlassen, wäre es ihre moralische Pflicht, friedlich neue Welten zu entdecken und aufzubauen – nicht nur geographisch, sondern auch gesellschaftlich.

„An die Könige“ ist somit eine radikale Kritik an Machtmissbrauch, Kriegsführung und politischer Kurzsichtigkeit. Es fordert eine neue Ethik des Regierens, gegründet auf Aufklärung, Mitgefühl und Verantwortung gegenüber kommenden Generationen. Mit seiner visionären Kraft gehört das Gedicht zu den deutlichsten dichterischen Stellungnahmen gegen die Barbarei des Krieges im ausgehenden 18. Jahrhundert.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

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