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Empfindungen

Von

Nimmer kann ich ruhig treiben,
Was die Seele stark erfasst,
Nimmer still behaglich bleiben,
Und ich stürme ohne Rast.

And’re mögen nur sich freuen,
Wenn’s so recht zufrieden geht,
Mögen Glückwunsch sich erneuen,
Beten nur ihr Dankgebet.

Mich umwogt ein ewig Drängen,
Ew’ges Brausen, ew’ge Glut,
Kann sich nicht ins Leben zwängen,
Will nicht ziehn in glatter Flut.

Himmel such‘ ich zu erfassen,
Und die Welt in mich zu ziehn,
Und in Lieben und in Hassen
Möcht‘ ich bebend weitersprühn.

Alles möcht‘ ich mir erringen,
Jede schönste Göttergunst,
Und in Wissen wagend dringen,
Und erfassen Sang und Kunst;

Welten selber stark zerstören,
Weil ich keine schaffen kann,
Weil sie meinem Ruf nicht hören,
Stummgekreist im Zauberbann.

Ach! die toten, stummen gaffen
Uns’re Taten höhnend an,
Wir zerfalln und unser Schaffen,
Und sie wandeln ihre Bahn.

Doch ich möcht‘ ihr Loos nicht tauschen,
Von der Flut dahingejagt,
Ewig fort im Nichts zu rauschen,
Pracht, die stets sich selbst beklagt.

Denn die Mauern und die Hallen,
Alles stürzt im raschen Lauf,
Kaum sind sie im Nichts zerfallen,
Und ein neues Reich steigt auf.

Und so schwankt es durch die Jahre,
Von dem Nichts bis zu dem All,
Von der Wiege bis zur Bahre,
Ew’ges Steigen, ew’ger Fall.

Und so treiben tief die Geister,
Bis sie selbst sich aufgezehrt,
Bis sie ihren Herrn und Meister
Selber schonungslos verheert.

Darum lasst den Kreis durcheilen,
Den ein Gott uns herrschend zog,
Lasst uns Lust und Leiden teilen,
Wie die Schicksalswaage wog.

Darum lasst uns alles wagen,
Nimmer rasten, nimmer ruhn;
Nur nicht dumpf so gar nichts sagen,
Und so gar nichts woll’n und tun.

Nur nicht brütend hingegangen,
Ängstlich in dem niedern Joch,
Denn das Sehnen und Verlangen,
Und die Tat, sie blieb uns doch.

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Gedicht: Empfindungen von Karl Marx

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Empfindungen“ von Karl Marx ist ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Unruhe des Geistes, zum Drang nach Erkenntnis, Gestaltung und Erleben. In kraftvollen, mit innerem Pathos geladenen Versen zeichnet Marx das Bild eines Menschen, der sich mit bloßer Zufriedenheit und alltäglicher Lebensruhe nicht abfinden kann – dessen Seele vielmehr von einer ständigen Bewegung, von Sturm und Sehnsucht ergriffen ist.

Bereits in den ersten Strophen stellt sich das lyrische Ich entschieden gegen eine passive, zufriedene Lebenshaltung. Während „and’re“ im Glück und im Dankgebet Ruhe finden, wird der Sprecher von einem „ewig Drängen“ und einer „ew’gen Glut“ bewegt. Dieses rastlose Sehnen ist keine Krankheit, sondern ein schöpferisches Lebensprinzip. Es richtet sich auf das Höchste: auf „Himmel“, „Welt“, „Lieben und Hassen“, auf „Sang und Kunst“ – alles soll erfasst, durchdrungen, mit Sinn aufgeladen werden.

Im Zentrum des Gedichts steht der Kontrast zwischen dem schöpferischen Willen und der tauben, unbeweglichen Welt. Die „toten, stummen“ Dinge bleiben gleichgültig gegenüber dem menschlichen Tun, sie „gaffen […] höhnend“ auf unser Streben. Daraus ergibt sich der Impuls zur Zerstörung: Wenn die Welt nicht antwortet, wenn sie sich nicht formen lässt, so will das Ich sie „stark zerstören“. Dieser Impuls erinnert an den romantischen Titanismus: das Verlangen, über Grenzen hinauszugehen, auch um den Preis des Scheiterns.

Doch trotz der Verzweiflung an der Welt und der eigenen Ohnmacht lehnt das lyrische Ich die bloße Resignation ab. Es sieht in der ständigen Bewegung – im Kreislauf von Werden und Vergehen, von „ew’gem Steigen, ew’gem Fall“ – den Sinn selbst. Die „Geister“, die „ihren Herrn und Meister / selber schonungslos verheert“ haben, sind Mahnung und Vorbild zugleich: Selbstvernichtung durch inneres Feuer, aber auch kompromisslose Konsequenz.

In den letzten Strophen mündet dieses Bekenntnis in einen Appell: „Lasst uns alles wagen“, selbst auf die Gefahr der Überforderung hin. Nicht zu wollen, nichts zu sagen, wäre das eigentliche Scheitern. Stattdessen soll das Leben voller Spannungen, Wagnisse und Taten gelebt werden. So zeigt sich das Gedicht als ein Manifest des inneren Aufbruchs, getragen von einem frühen, aber bereits kraftvoll formulierten Streben nach Totalität – ein Vorbote des geistigen Feuers, das auch Marx’ späteres Denken prägen sollte.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.