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Zwei Läufer

Von

Zwei Läufer laufen zeitenlang,
der eine dreist, der andre bang:
Der von Nirgendher sein Ziel erwirbt;
der vom Ursprung kommt und am Wege stirbt.
Der von Nirgendher sein Ziel erwarb,
macht Platz dem, der am Wege starb.
Und dieser, den es ewig bangt,
ist stets am Ursprung angelangt.

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Gedicht: Zwei Läufer von Karl Kraus

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zwei Läufer“ von Karl Kraus stellt zwei unterschiedliche Lebenswege gegenüber und beleuchtet die Frage nach Ziel und Ursprung. Zu Beginn wird das Bild zweier Läufer gezeichnet: der eine läuft „dreist“, der andere „bang“. Die Dreistigkeit des ersten Läufers lässt auf eine unerschütterliche Entschlossenheit und ein Selbstbewusstsein schließen, während der zweite Läufer von Angst und Unsicherheit geprägt ist. Diese gegensätzlichen Eigenschaften symbolisieren zwei verschiedene Herangehensweisen an das Leben – den mutigen, der seinen Weg ohne Zögern verfolgt, und den verängstigten, der zögert und von Zweifeln geplagt wird.

Der „Läufer von Nirgendher“ erwirbt „sein Ziel“, was darauf hinweist, dass er ein Ziel erreicht, das nicht aus einem klaren Ursprung hervorgeht, sondern eher aus einer Richtung, die unbekannt und unbestimmt bleibt. Sein Erfolg erscheint daher nicht greifbar oder nachhaltig, da er das Ziel lediglich „erwirbt“, ohne zu wissen, wohin der Weg führt. Im Gegensatz dazu stirbt der Läufer, der vom „Ursprung kommt“, am Wege, was eine tragische Metapher für die Unaufhaltsamkeit des Lebensweges und das Ende vor dem Erreichen eines endgültigen Ziels darstellt. Der Ursprung ist in diesem Fall der Punkt der Wahrheit oder des Anfangs, aber das Leben führt zu einem schnellen, tragischen Ende, bevor das Ziel erreicht werden kann.

Im nächsten Vers zeigt sich eine Umkehrung der Perspektiven: Der Läufer, der ursprünglich aus „Nirgendher“ kam und sein Ziel erwarb, muss nun „Platz machen“ für den Läufer, der am Wege starb. Dies deutet darauf hin, dass der Erfolg des ersten Läufers nicht von Dauer ist, während der Lauf des zweiten Läufers, trotz seines tragischen Endes, eine tiefere Bedeutung erhält. Der zweite Läufer, der „stets am Ursprung angelangt ist“, steht symbolisch für denjenigen, der den wahren Sinn des Lebens in seiner Suche nach Ursprung und Wahrheit findet, selbst wenn er nie das sichtbare Ziel erreicht.

Das Gedicht spricht von der paradoxen Natur des Lebensweges: Der scheinbar erfolgreiche Läufer, der ohne Zweifel und Zielstrebigkeit handelt, wird von der Tiefe des Ursprungsweges, den der unsichere und bangende Läufer geht, letztlich abgelöst. Kraus nutzt dieses Bild, um auf die Vergänglichkeit von oberflächlichem Erfolg hinzuweisen und die Bedeutung der inneren Wahrheit und der Suche nach Ursprung zu betonen. Letztlich zeigt sich, dass der wahre „Erfolg“ nicht im Erreichen eines Ziels liegt, sondern in der ständigen Auseinandersetzung mit dem Ursprung und den tieferen Fragen des Lebens.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.