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Nächtliche Stunde

Von

Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich’s ersinne, bedenke und wende,
und diese Nacht geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Tag.

Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich’s ersinne, bedenke und wende,
und dieser Winter geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Frühling.

Nächtliche Stunde, die mir vergeht,
da ich’s ersinne, bedenke und wende,
und dieses Leben geht schon zu Ende.
Draußen ein Vogel sagt: es ist Tod.

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Gedicht: Nächtliche Stunde von Karl Kraus

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Nächtliche Stunde“ von Karl Kraus stellt eine introspektive Auseinandersetzung mit der Zeit, dem Leben und dem Tod dar. Die „nächtliche Stunde“ wird als eine Zeit des Nachdenkens und Reflektierens dargestellt, in der der Erzähler in sich geht und über die verschiedenen Phasen des Lebens nachsinnt. Wiederholt wird der Ausdruck „Nächtliche Stunde, die mir vergeht“, was die Vergänglichkeit und die ständige Bewegung der Zeit betont. Diese Zeit des Alleinseins und der inneren Einkehr wird von der Außenwelt, hier in Form eines Vogels, kontrastiert, der den Wechsel der Tageszeiten ankündigt.

Im ersten Abschnitt wird die Nacht zum Symbol für eine vergangene oder endende Phase. Der Erzähler reflektiert, dass „diese Nacht schon zu Ende geht“, was metaphorisch auf das Ende eines Lebensabschnitts oder einer Ära hinweisen könnte. Der Vogel, der den Tag verkündet, stellt den natürlichen Zyklus der Zeit dar, der unaufhaltsam weitergeht, auch wenn der Einzelne sich in einer Phase der Reflektion befindet. Diese Trennung zwischen der inneren Erfahrung und der äußeren Realität wird ein wiederkehrendes Motiv im Gedicht.

Im zweiten Abschnitt wandelt sich die Jahreszeit, und der Erzähler erkennt, dass der „Winter zu Ende geht“. Der Winter, der oft mit Kälte, Dunkelheit und Ruhe assoziiert wird, symbolisiert hier möglicherweise eine Zeit der Entbehrung oder des inneren Konflikts. Das Ende des Winters und der Beginn des Frühlings spiegeln eine Phase der Erneuerung und des Wandels wider, doch der Erzähler bleibt in seinem gedanklichen Prozess verhaftet. Auch hier kündigt der Vogel das neue Leben des Frühlings an, während der Erzähler in der Nacht verweilt, gefangen in seiner Reflektion über das Vergangene.

Im letzten Abschnitt jedoch wird das Motiv des „Todes“ eingeführt. Der Erzähler erkennt, dass „dieses Leben schon zu Ende geht“, was auf eine tiefere, existenzielle Reflexion über den eigenen Tod hinweist. Der Vogel, der jetzt den Tod als den „Frühling“ des Lebens verkündet, stellt eine radikale Umkehrung der natürlichen Zyklen dar. Statt des Frühlings als Zeit des Neubeginns wird der Tod als Teil des natürlichen Kreislaufs verstanden, der sowohl eine Fortsetzung als auch ein Ende darstellt.

Kraus’ Gedicht verknüpft auf meisterhafte Weise die Vergänglichkeit der Zeit mit den ständigen Übergängen im Leben, von der Nacht zum Tag, vom Winter zum Frühling und schließlich zum Tod. Die ständige Wiederholung der „nächtlichen Stunde“ und die Veränderung der Jahreszeiten verdeutlichen, wie der Mensch zwischen inneren Reflexionen und der äußeren Realität hin- und herschwankt. Der Gedichtsträger vermittelt eine tiefe Sensibilität für die fließenden Übergänge des Lebens und den unausweichlichen Zyklus von Geburt, Leben und Tod.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.