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In diesem Land

Von

In diesem Land wird niemand lächerlich,
als der die Wahrheit sagte. Völlig wehrlos
zieht er den grinsend flachen Hohn auf sich.
Nichts macht in diesem Lande ehrlos.

In diesem Land münzt jede Schlechtigkeit,
die anderswo der Haft verfallen wäre,
das purste Gold und wirkt ein Würdenkleid
und scheffelt immer neue Ehre.

In diesem Land gehst du durch ein Spalier
von Beutelschneidern, die dich tief verachten
und mindestens nach deinem Beutel dir,
wenn nicht nach deinem Gruße trachten.

In diesem Land schließt du dich nicht aus,
fliehst du gleich ängstlich die verseuchten Räume.
Es kommt die Pest dir auch per Post ins Haus
und sie erwürgt dir deine Träume.

In diesem Land triffst du in leere Luft,
willst treffen du die ausgefeimte Bande,
und es begrinst gemütlich jeder Schuft
als Landsmann dich in diesem Lande.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: In diesem Land von Karl Kraus

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „In diesem Land“ von Karl Kraus ist eine scharfsinnige und kritische Bestandsaufnahme der Gesellschaft und ihrer Verhältnisse. Der Dichter beschreibt eine Welt, in der die Wahrheit und derjenige, der sie ausspricht, ins Lächerliche gezogen und mit Hohn überzogen wird. Die „wehrlose“ Wahrheit wird in diesem Land nicht nur ignoriert, sondern regelrecht bestraft, was eine düstere Kritik an der Verfälschung und Verdrängung von Realitäten darstellt. In der Vorstellung des Dichters ist es die Gesellschaft, die nicht in der Lage oder bereit ist, die Wahrheit zu akzeptieren.

Kraus zeigt dann die Korruption und Verfälschung von Werten in dieser Gesellschaft auf. Wo Unrecht und Verfehlung anderswo verurteilt würden, erlangen sie hier „Gold“ und „Ehre“. Diese Umkehrung der Werte, bei der Laster zu Tugenden erhoben werden, verweist auf die moralische Verderbtheit, die in der Gesellschaft vorherrscht. Die Schlechtigkeit wird hier nicht nur geduldet, sondern hochgepriesen und belohnt – eine bittere Anklage gegen eine Gesellschaft, die die falschen Dinge feiert.

Das Bild des „Spaliers von Beutelschneidern“, die den „Beutel“ des anderen begehren, spiegelt die Habgier und den Mangel an moralischer Integrität wider. In dieser Gesellschaft geht es nicht um gegenseitigen Respekt oder das Wohl des Einzelnen, sondern ausschließlich um den eigenen Vorteil und Profit. Der Einzelne wird von denen umgeben, die ihn verachten und nur darauf aus sind, ihn auszunutzen, was die Gesellschaft als eine kalte und herzlose Gemeinschaft darstellt.

Der Verfall der Träume und die Ankunft der „Pest“ symbolisieren die schleichende Zerstörung der Ideale und Hoffnungen in einer Gesellschaft, die von Verfall und Krankheit heimgesucht wird. Kraus’ Verwendung der Pest als Metapher deutet darauf hin, dass die moralische Verderbtheit und die gesellschaftlichen Missstände so weit verbreitet sind, dass sie das gesamte soziale Gefüge zersetzen. Der Gedichtsträger scheint zu sagen, dass die Flucht vor dieser Pest nichts bewirken kann, da sie alle Lebensbereiche infiltriert hat.

Abschließend schildert Kraus eine Gesellschaft, in der der „Schuft“ und der „verfeinerte Bandit“ nicht nur akzeptiert, sondern als „Landsmann“ begrüßt werden. Diese Verklärung des moralischen Verfalls und die fehlende Fähigkeit zur Selbstreflexion stellen die Frage nach der Zukunft einer solchen Gesellschaft. In „In diesem Land“ wird eine düstere Vision von einer Gesellschaft präsentiert, die durch ihre Korruption und den Verlust an Werten zu einer leeren Hülle geworden ist, die sich selbst zugrunde richtet.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.