Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , , , ,

Fahrt ins Fextal

Von

Als deine Sonne meinen Schnee beschien,
ein Sonntag war’s im blauen Engadin.

Der Winter glühte und der Frost war heiß,
unendlich sprühten Funken aus dem Eis.

Knirschend ergab sich alle Gegenwart,
Licht tanzte zur Musik der Schlittenfahrt.

Wir fuhren jenseits aller Jahreszeit
irgendwohin in die Vergangenheit.

Was rauh begonnen war, verlief uns hold,
ein Tag von Silber dankt dem Strahl von Gold.

Der Zauber führt in ein versunknes Reich.
Wie bettet Kindertraum das Leben weich!

Voll alter Spiele ist das weiße Tal;
die Berge sammeln wir wie Bergkristall.

Trennt heut die Elemente keine Kluft?
Ein Feuerfluß verbindet Erd und Luft.

Wir leben anders. Wenn’s so weiter geht,
ist dies hier schon der andere Planet!

Ins Helle schwebend schwindet aller Raum.
So schwerlos gleitet nach dem Tod der Traum.

Nicht birgt die Zeit im Vorrat uns ein Weh.
Bleicht sich das Haar, so gibt es guten Schnee.

Uns wärmt der Winter. Leben ist ein Tag,
da Slivaplanas Wind selbst ruhen mag.

Nicht Ziel, nur Rast ist’s, die das Glück sich gab,
hält einmal dieser Schlitten vor dem Grab.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Fahrt ins Fextal von Karl Kraus

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Fahrt ins Fextal“ von Karl Kraus entführt den Leser in eine winterliche Landschaft, die in ihrer Schönheit und Magie fast unwirklich erscheint. Zu Beginn wird die Szenerie durch die warme, leuchtende Sonne und den tiefen Schnee des Engadins beschrieben, was den Gegensatz zwischen Winter und Licht hervorhebt. Der Winter wird nicht als kalt und trüb, sondern als ein lebendiger Moment der Energie und Wärme dargestellt, in dem der „Frost“ als „heiß“ empfunden wird und Funken aus dem Eis sprühen. Diese paradoxe Beschreibung hebt das Erleben des Winters als etwas Intensives und lebendig Kraftvolles hervor.

In der zweiten Strophe wird das Bild einer Schlittenfahrt weiter ausgeführt, die das Zeitgefühl aufhebt. „Knirschend ergab sich alle Gegenwart“, was die Vorstellung eines harmonischen und gleichmäßigen Fortschreitens verstärkt. Die Schlittenfahrt wird dabei als ein Tanz des Lichts beschrieben, das „zur Musik“ des Fahrens und der Bewegung im Schnee tanzt. Das Bild der Fahrt wird zu einer Reise „jenseits aller Jahreszeit“, was den Eindruck erweckt, dass der Moment der Schlittenfahrt nicht an einen bestimmten Zeitpunkt gebunden ist, sondern einen zeitlosen Zustand des Seins beschreibt.

In der dritten Strophe wird die Zeit weiter relativiert: „Wir fuhren … in die Vergangenheit“, was eine nostalgische, fast metaphysische Dimension einführt. Der winterliche Tag wird als kostbar und transzendent dargestellt, der „Tag von Silber“ dankt dem „Strahl von Gold“, was auf das seltene und wertvolle Erleben hinweist, das dieser Augenblick mit sich bringt. Es entsteht die Vorstellung eines Zaubers, der in ein „versunknes Reich“ führt – eine Anspielung auf eine tiefere, fast vergessene oder magische Welt, in der das Leben sanft wie ein „Kindertraum“ ist.

Die vierte Strophe vertieft diese Vision, indem sie das Tal als einen Ort voller „alter Spiele“ und lebendiger Erinnerungen beschreibt. Die Berge werden zu „Bergkristallen“, die gesammelt werden, was eine Metaphorik für das Sammeln von Erinnerungen oder Erfahrungen ist, die im Gedächtnis glitzern. Es entsteht der Eindruck, dass hier, in diesem „weißen Tal“, die Natur und die Elemente miteinander harmonisieren, keine „Kluft“ trennt die Elemente – Erde, Feuer, Luft – sie verschmelzen zu einem einheitlichen Ganzen, das durch einen „Feuerfluß“ miteinander verbunden ist.

In den letzten Strophen entwickelt sich das Gedicht zu einer Reflexion über die Vergänglichkeit und den Übergang zwischen Leben und Tod. Der Winter und der Tod werden nicht als trüb oder negativ beschrieben, sondern als natürliche Zustände, die im Einklang mit dem Leben stehen. „Leben ist ein Tag“, der im Winter und der Ruhe des Moments seinen Frieden findet. Der „Schlitten vor dem Grab“ symbolisiert das Ende des Lebens als eine Art Ruhepause oder Rast, bei der das Leben selbst als eine flüchtige, aber bedeutungsvolle Reise dargestellt wird.

Kraus verwendet die winterliche Landschaft als Metapher für das Leben, das in seiner Schönheit, Vergänglichkeit und Harmonie geschätzt wird. Die Fahrt ins Fextal wird dabei zu einem Symbol für die Reise des Lebens, die durch Momentaufnahmen von Frieden, Erinnerung und transzendentaler Harmonie geprägt ist. Der Gedicht hat eine melancholische, aber auch beruhigende Qualität, die die Vergänglichkeit des Lebens akzeptiert und gleichzeitig die Schönheit des gegenwärtigen Moments feiert.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.