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Wie schön leuchtet der Morgenstern

Von

Wie schön leuchtet der Morgenstern!
Hab‘ doch kein andres Lied so gern!
Mit Tränen füllt sich jedes Mal
Mein Auge, spiel‘ ich den Choral.
’s war damals, als der alte Fritz
Noch stritt um Schlesiens Besitz,
Hier in den Schluchten lag sein Heer,
Der Feind dort auf den Höh’n umher.
Da sah’s im Dorf gar übel aus,
Die Scheuern leer, kein Brot im Haus,
Im Stalle weder Pferd noch Kuh,
Und vor dem Feind die Furcht dazu.
So hatt‘ ich eben eine Nacht
Mit Seufzen und Gebet durchwacht
Und stieg beim ersten Morgengraun
Den Turm hinauf, um auszuschaun
Wie’s draußen stünd‘: ’s war still umher
Und ich sah keine Feinde mehr.
Da zog ich still mein Käpplein ab,
Dem lieben Gott die Ehre gab.
Horch! plötzlich trabt’s in’s Dorf herein:
Der Himmel woll‘ uns gnädig sein!
Ein alter Schnauzbart jagt im Trab
Nach meinem Haus, dort steigt er ab;
Kaum bin ich unten, schreit er: „Lauf,
Schließ‘ mir geschwind die Kirche auf!“
Ich bat: Bedenkt, ’s ist Gottes Gut,
Was man vertraut hat meiner Hut,
Und Kirchenraub bestraft sich schwer.
Doch er schrie wild: „Was schwafelt er?
Flink aufgeschlossen, sonst soll ihn! -„
Schon wollt‘ er seinen Säbel ziehn,
Da dacht‘ ich bang‘ an Weib und Kind
Und öffnete die Kirch‘ geschwind
Und trat dann zagend mit ihm ein;
Mein Weib schlich weinend hinterdrein.
Er ging vorüber am Altar,
Hinauf dann, wo die Orgel war;
Da stand er still: „Gesangbuch her!
Hier den Choral da spielet er!
Und daß sie brav die Bälge tritt!
Marsch! vorwärts jetzt und zögert nit!“
Ich fing mit einem Vorspiel an,
Wie ich’s mein Lebtag getan.
Da fiel der Alte grimmig ein:
„Was soll mir das Geklimper sein?
Hab‘ ich’s denn nicht gesagt dem Herrn:
Wie schön leuchtet der Morgenstern!“
„’s ist nur das Vorspiel!“ „Dummes Zeug!
Was spielt‘ er den Choral nicht gleich?“
So spielt‘ ich denn, weil er’s befahl,
Ganz ohne Vorspiel den Choral,
Der alte Schnauzbart sang das Lied,
Ich und mein Weib wir sangen mit.
Das Lied war aus, still saß der Mann,
Ein heißer Strom von Tränen rann
Ihm über’s braune Angesicht,
Die funkelten wie Demantlicht.
Dann stand er auf und drückte mir
Die Hand und sprach: „Da, nehmt das hier!“
Es war ein großes Talerstück.
Ich wies das Geld beschämt zurück,
Er aber rief: „Was soll das, Mann?
Bei Gott, es klebt kein Blut daran!
Gib’s an die Armen in dem Ort.“
Drauf gingen wir zusammen fort
Und noch im Gehen sprach er weich:
„Kein Lied kommt diesem Lied mir gleich:
Es hat mich in vergangner Nacht
Zum lieben Gott zurück gebracht.
’s rief gestern Abend der Major
Vor unsrer Front: „Freiwillige vor!
’s soll ein verlorner Posten stehn
Dem Feinde nah‘, dort auf den Höh’n:
Hat keiner Lust, hat keiner Mut?“
Das trieb mir in’s Gesicht das Blut:
„Da müßten wir nicht Preußen sein!“
Ich rief’s und trat rasch aus den Reihn;
Drei meiner Söhne folgten mir:
„Gehst du, so gehen wir mit dir.“
So zogen wir nach jenen Höhn,
Um dort die ganze Nacht zu stehn.
Es blitzte hier, es krachte da,
Es war der Feind uns oft so nah,
Daß er uns sicherlich entdeckt,
Wenn uns nicht droben der versteckt.
Ja Mann, ich hab‘ so manche Nacht
Im Feld gestanden auf der Wacht,
Doch war mir nie das Herz so schwer, –
’s kam nur von meinen Jungens her;
Ihr habt ja Kinder, – nun da wißt
Ihr selbst, was Vaterliebe ist.
Drum hab‘ ich auch empor geblickt
Und ein Gebet zu Gott geschickt.
Und wie ich noch so still gefleht,
Da war erhört schon mein Gebet,
Denn leuchtend ging im Osten Fern
Auf einmal auf – der Morgenstern,
Und mächtig mir im Herzen klang
Der längst vergess’ne fromme Sang;
Hätt‘ gern gesungen gleich das Lied,
Doch schwieg ich, weil’s uns sonst verriet.
Zugleich fiel mir auch manches ein,
Was anders hätte sollen sein,
Vor allem, daß ich dieses Jahr
Noch nicht im Gotteshause war.
Das machte mir das Herz so schwer:
Das war’s, das trieb mich zu euch her.“
Der Alte sprach’s, bestieg sein Pferd
Und machte munter Rechtsumkehrt.
Seht! drum hab‘ ich das Lied so gern:
„Wie schön leuchtet der Morgenstern“
Und spiel‘ noch heute jedes Mal
Ganz ohne Vorspiel den Choral,
Und wenn ich spiel‘, sitzt immerdar
Mir dicht zur Seite der Husar,
Ich höre seinen kräft’gen Baß,
Und da – wird mir das Auge naß.

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Gedicht: Wie schön leuchtet der Morgenstern von Julius Karl Reinhold Sturm

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht Wie schön leuchtet der Morgenstern von Julius Karl Reinhold Sturm ist eine tief bewegende Erinnerungserzählung, die religiöse Innigkeit mit Kriegserfahrung, Vaterliebe und menschlicher Verbundenheit verknüpft. Im Zentrum steht ein Choral – ein geistliches Lied –, das zum emotionalen und spirituellen Anker sowohl des lyrischen Ichs als auch eines preußischen Husaren wird. Durch die Wiederbegegnung mit diesem Lied gewinnt der Soldat in einer existenziellen Lage neue Kraft und innere Einkehr.

Der Text ist in klarer Sprache gehalten, fast prosaisch, dabei sehr anschaulich und lebendig erzählt. Die Handlung spielt zur Zeit des Siebenjährigen Kriegs („als der alte Fritz noch stritt um Schlesiens Besitz“) und beschreibt eine Szene, in der ein Husar nach einer Nacht auf verlorenem Posten in die Kirche stürmt, um ausgerechnet Wie schön leuchtet der Morgenstern zu hören. Dieses Lied wird zur seelischen Brücke zwischen Krieg und Glauben, zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Die Musik wirkt hier als Heilmittel, als Trostspender, als Erinnerung an bessere Zeiten und als Anstoß zur Umkehr.

Das Motiv des Morgensterns steht dabei symbolisch für Hoffnung, Erlösung und göttliches Licht – eine klassische christliche Metapher, die hier nicht abstrakt bleibt, sondern ganz konkret in einer lebensnahen Szene erfahrbar wird. Die Reaktion des Soldaten – seine Tränen, seine Demut, seine Spende für die Armen – zeigt die tiefgreifende Wirkung dieses geistlichen Moments. Das Lied wird zum Zeichen innerer Umkehr und Reue, aber auch zur Feier des Lebens trotz des allgegenwärtigen Todes.

Am Ende wird der Choral zum festen Bestandteil im Leben des Organisten. Durch die Erzählung des Husaren bekommt er eine tiefere Bedeutung: Das Lied steht nicht mehr nur für musikalische Schönheit, sondern für ein lebendiges, geteiltes Erinnern. Die wiederkehrende Träne im Auge des Sprechers zeigt, wie sehr diese eine Begegnung seine Haltung zum Glauben, zur Musik und zur menschlichen Nähe geprägt hat. Sturm gelingt es mit großer Schlichtheit, die existenzielle Kraft des Glaubens in kriegerischer Zeit zu zeigen – nicht als Dogma, sondern als Trost und Verwandlung durch Musik.

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Lizenz und Verwendung

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