Juli 1870
I.
Vom Untersberg, dem alten,
Wohl auf der Walser Haid′
Nachts Kampfesrufe schallten
Über deutsche Lande weit.
Wer hat den Ruf vernommen? –
»Zum Streit! Genossen, auf!
Nun ist die Zeit gekommen,
Ihr Helden all′, wacht auf!
Ihr saßt viel tausend Stunden
Im dunklen Bergessal:
Ihr träumtet tiefe Wunden
Und schliefet all′ zumal.
Nun greift zu Schwert und Schilden,
Rückt Helm und Beil zurecht,
Und fort zum grimmig wilden,
Zum tödtlichen Gefecht!
Nun thut sich auf mit Schweigen
Des Berges Felsenthor:
Auf! laßt die Hengste steigen
Und streckt die Speere vor.« –
Sie haben Dich vernommen,
Herr Karl. Und schlafentbannt
Die alten Helden kommen
Und retten das deutsche Land.
II.
Für Recht, für Freiheit und Vaterland!
Germania drückt uns das Schwert in die Hand,
Kein Preußen, kein Baiern, kein Schwaben mehr:
Ein deutsches Volk, eine deutsche Wehr
Steh′n wir zusammen im heiligen Streit.
Trutz wälschem Hochmuth, trutz gallischem Neid. –
Dem Erzfeind Tod, der den Frieden stört
Und blutigen Kampf uns heraufbeschwört.
Wir steh′n zusammen: Ein Schwert, ein Mann,
Laß seh′n, wer uns bezwingen kann! –
Wir steh′n zusammen im blutigen Feld,
Wir fallen zusammen, Held an Held:
Allsiegende Kraft, unbeugsamer Muth
Erwächst aus der Brüder vergoss′nem Blut!
Wir steh′n zusammen mit Herz und Hand
Für Freiheit, für Recht und Vaterland.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Juli 1870“ von Felix Dahn ist eine stürmische und pathetische Kampfansage, die im Kontext des Deutsch-Französischen Krieges von 1870-1871 entstanden ist. Es zeichnet sich durch eine Mischung aus nationalistischer Rhetorik, romantischen Elementen und einem klaren Aufruf zum Kampf aus. Das Gedicht ist in zwei Teile gegliedert, die inhaltlich aufeinander aufbauen und die Kriegsbereitschaft der deutschen Nation beschwören.
Der erste Teil beschreibt eine mythische Szene, in der die schlafenden Helden des Untersbergs durch Kampfesrufe geweckt werden. Diese Rufe, die über das Land hallen, fordern die Helden auf, aus ihrem Schlaf zu erwachen und sich auf den Kampf vorzubereiten. Die Verwendung des Untersbergs, eines Ortes voller deutscher Sagen und Mythen, verleiht dem Gedicht eine epische Qualität und verstärkt den patriotischen Appell. Der Aufruf zur Waffen wird durch das Öffnen des Berges und das Erscheinen der Helden, die sich mit Schwert und Schild ausrüsten, bildhaft untermauert. Die Bezugnahme auf Karl den Großen, der hier als „Herr Karl“ angesprochen wird, verweist auf eine glorreiche Vergangenheit und die Wiedergeburt des deutschen Geistes im Kampf.
Der zweite Teil des Gedichts ist eine klare Kampfansage und ein Bekenntnis zum deutschen Nationalgefühl. Hier werden die Ziele des Krieges definiert: Recht, Freiheit und Vaterland. Die Formulierung „Kein Preußen, kein Baiern, kein Schwaben mehr: / Ein deutsches Volk, eine deutsche Wehr“ betont die Einheit der deutschen Nation im Angesicht des Feindes. Die Gegner, die als „wälschen Hochmuth“ und „gallischem Neid“ bezeichnet werden, sind eine klare Anspielung auf Frankreich. Der Kampf wird als „heiliger Streit“ und „blutiges Feld“ dargestellt, was die Ernsthaftigkeit der Situation unterstreicht.
Die Sprache des Gedichts ist von einem hohen Pathos geprägt, mit vielen Ausrufen, rhetorischen Fragen und einer starken Betonung von Begriffen wie „Recht“, „Freiheit“, „Vaterland“, „Helden“ und „Blut“. Dies dient dazu, die Emotionen des Lesers anzusprechen und die Kriegsbereitschaft zu wecken. Die Verwendung von Reimen und einem regelmäßigen Metrum verleiht dem Gedicht einen rhythmischen Charakter, der es leicht macht, es zu memorieren und zu rezitieren. Die Bilder von Schwert, Schild, Kampf und Blut verstärken die kriegerische Atmosphäre und die Bereitschaft zum Kampf bis zum Tod.
Insgesamt ist „Juli 1870“ ein starkes Beispiel für die patriotische Dichtung des 19. Jahrhunderts. Es vermittelt ein Gefühl von nationaler Einheit, Stärke und Entschlossenheit und spiegelt die Begeisterung und den Enthusiasmus wider, die im Vorfeld des Deutsch-Französischen Krieges herrschten. Das Gedicht ist ein Zeugnis des Nationalbewusstseins und der Ideale der Zeit, wobei die Betonung auf der Einheit der Deutschen sowie die Bereitschaft, für ihr Land zu kämpfen, liegt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.