Die Nachtblume
Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.
Wünsche wie die Wolken sind,
Schiffen durch die stillen Räume,
Wer erkennt im lauten Wind,
Ob’s Gedanken oder Träume?
Schließ ich nun auch Herz und Mund,
Die so gern den Sternen klagen;
Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Die Nachtblume“ von Joseph von Eichendorff vermittelt eine tief melancholische und introspektive Stimmung, in der Nacht und Natur als Spiegel innerer Gefühle und Sehnsüchte dienen. Im ersten Vers wird die Nacht als „stilles Meer“ beschrieben, was sowohl Ruhe als auch eine gewisse Tiefe impliziert. Die Verbindung von „Lust und Leid“ und die „Liebesklagen“ treten in den Vordergrund und lassen das Bild eines Gefühlsmeers entstehen, das von der inneren Zerrissenheit des lyrischen Ichs geprägt ist. Das „linde Wellenschlagen“ verweist auf ein sanftes Hin und Her der Emotionen, das dennoch spürbar ist.
Im zweiten Vers zeigt Eichendorff die Flüchtigkeit der Wünsche, die wie Wolken durch den „stillen Raum“ ziehen. Diese Metapher betont die Vergänglichkeit und Unbeständigkeit der Wünsche und Gedanken, die sich im Wind verlieren. Die Unterscheidung zwischen Gedanken und Träumen wird als schwer fassbar dargestellt, was die undurchdringliche Natur der inneren Welt des lyrischen Ichs widerspiegelt. Der Wind, als Symbol des Unbewussten und der Unruhe, verweht alles, was nicht fest verankert ist, und lässt den Sprecher in einem Zustand des Zweifels zurück.
Im dritten Vers scheint der Sprecher sich von seinen äußeren Klagen zurückzuziehen. Durch das „Schließen von Herz und Mund“ verweigert er sich der Welt und der Möglichkeit, seinen Schmerz oder seine Wünsche laut auszusprechen. Doch trotz dieser äußerlichen Zurückhaltung bleibt das „linde Wellenschlagen“ im „Herzensgrund“ bestehen – ein Hinweis darauf, dass die inneren Gefühle, auch wenn sie nicht ausgesprochen werden, weiterhin das Leben des lyrischen Ichs bestimmen. Die stillen, inneren Bewegungen der Seele lassen sich nicht einfach abstellen.
Das Gedicht zeichnet ein Bild von einem inneren Leben, das von Widersprüchen und unerfüllten Sehnsüchten geprägt ist. Die Nacht wird als eine Zeit der Reflektion und des Verborgenen dargestellt, in der Wünsche und Gedanken ohne klare Form miteinander vermischt sind. Eichendorff lässt die Unklarheit und das Rätsel der eigenen Emotionen als zentralen Bestandteil des Gedichts stehen, wodurch eine melancholische, fast ätherische Atmosphäre entsteht.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.