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Der Umkehrende

Von

1.

Du sollst mich doch nicht fangen,
Duftschwüle Zaubernacht!
Es stehn mit goldnem Prangen
Die Stern auf stiller Wacht,
Und machen überm Grunde,
Wo du verirret bist,
Getreu die alte Runde –
Gelobt sei Jesus Christ!

Wie bald in allen Bäumen
Geht nun die Morgenluft,
Sie schütteln sich in Träumen,
Und durch den roten Duft
Eine fromme Lerche steiget,
Wenn alles still noch ist,
Den rechten Weg dir zeiget –
Gelobt sei Jesus Christ!

2.

Hier bin ich, Herr! Gegrüßt das Licht,
Das durch die stille Schwüle
Der müden Brust gewaltig bricht
Mit seiner strengen Kühle.
Nun bin ich frei! Ich taumle noch
Und kann mich noch nicht fassen –
O Vater, du erkennst mich doch,
Und wirst nicht von mir lassen!

3.

Was ich wollte, liegt zerschlagen,
Herr, ich lasse ja das Klagen,
Und das Herz ist still.
Nun aber gib auch Kraft, zu tragen,
Was ich nicht will!

4.

Es wandelt, was wir schauen,
Tag sinkt ins Abendrot,
Die Lust hat eignes Grauen,
Und alles hat den Tod.

Ins Leben schleicht das Leiden
Sich heimlich wie ein Dieb,
Wir alle müssen scheiden
Von allem, was uns lieb.

Was gäb es doch auf Erden,
Wer hielt‘ den Jammer aus,
Wer möcht geboren werden,
Hieltst du nicht droben Haus!

Du bist’s, der, was wir bauen,
Mild über uns zerbricht,
Daß wir den Himmel schauen –
Darum so klag ich nicht.

5.

Waldeinsamkeit!
Du grünes Revier,
Wie liegt so weit
Die Welt von hier!
Schlaf nur, wie bald
Kommt der Abend schön,
Durch den stillen Wald
Die Quellen gehn,
Die Mutter Gottes wacht,
Mit ihrem Sternenkleid
Bedeckt sie dich sacht
In der Waldeinsamkeit,
Gute Nacht, gute Nacht! –

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Umkehrende von Joseph von Eichendorff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Umkehrende“ von Joseph von Eichendorff beschreibt eine spirituelle Reise, die sowohl eine innere als auch äußere Umkehr darstellt. In der ersten Strophe wird der lyrische Sprecher von einer „Duftschwülen Zaubernacht“ gefangen genommen, doch die „Stern auf stiller Wacht“ und die „alte Runde“ des Himmels deuten auf eine göttliche Ordnung hin. Die wiederkehrende Formel „Gelobt sei Jesus Christ“ lässt die Nähe eines religiösen Rahmens erkennen, in dem der Sprecher Halt und Orientierung sucht. Die Nacht, die zunächst geheimnisvoll und verführerisch wirkt, wird durch die Präsenz des göttlichen Lichts relativiert und findet eine sakrale Bedeutung.

In der zweiten Strophe spricht der Sprecher direkt zu Gott und erlebt ein Erwachen, das von der „strengen Kühle“ des Lichts begleitet wird. Die Beschreibung des Lichtes als befreibende Kraft, die durch die „müde Brust“ bricht, verstärkt den Eindruck einer Befreiung von Dunkelheit und Verwirrung. Der Übergang von der Schwüle der Nacht zu der Klarheit des Morgens ist dabei nicht nur ein äußeres Ereignis, sondern auch ein innerer Prozess, der mit einer Rückkehr zur göttlichen Ordnung und zur Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit verknüpft ist.

In der dritten Strophe wird eine Art Resignation und Hingabe spürbar. Der Sprecher gibt auf, was er „wollte“, und lässt das Klagen hinter sich. Es bleibt ein stilles Herz, das nun in die göttliche Weisheit und Führung vertraut. Hier kommt das Motiv des Leidens zum Tragen, das sowohl als Schicksal als auch als Prüfstein des Glaubens angesehen wird. Die Bitte um „Kraft, zu tragen, was ich nicht will“ spricht die Akzeptanz des göttlichen Willens und das Vertrauen in die höhere Führung an.

Die vierte Strophe entfaltet eine tiefere Reflexion über das menschliche Leben und den Tod. Der Tag sinkt ins „Abendrot“, was den Übergang von Leben zu Tod symbolisiert. Das „Leiden“ wird als unausweichlich und heimlich in das Leben eingeschlichen beschrieben, ein „Dieb“, der alles nimmt, was dem Menschen lieb ist. Doch Eichendorff zeigt, dass der Glaube an das „Haus droben“ (das göttliche Reich) den Menschen trägt, sodass er nicht verzweifeln muss. Es ist die göttliche Hand, die das Leid mildert und den Blick auf den Himmel öffnet.

In der fünften Strophe kehrt der Sprecher zu einer Szene der „Waldeinsamkeit“ zurück, in der er den Wald als Ort der Ruhe und göttlichen Präsenz wahrnimmt. Die „Mutter Gottes“ wacht über ihn und gewährt ihm Frieden und Geborgenheit. Der Wald wird hier zum Symbol für den Raum der spirituellen Einkehr und das endgültige Wohl. Der Sprecher schließt das Gedicht mit einem beruhigenden „Gute Nacht“, was die Umkehr zum Glauben und die Akzeptanz des göttlichen Willens in eine friedliche, versöhnliche Haltung überführt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.