Qual
„Komm‘ mit, Geliebte! – Allzu mächtig
Treibt uns der Morgen jetzt nach Haus.
Wie siehst du blaß und übernächtig
In diesem fahlen Lichte aus!
Noch schmäler wurden deine Wangen,
Seit sie die Lust verlassen hat,
Und deine Worte eben klangen,
Als seist du selbst des Lärmens satt.
Drum komm‘: ich will dich in den Wagen
– Er bringt uns heim zu unserm Nest! –
Wie einen müden Vogel tragen…
Komm‘ mit, eh‘ ganz vorbei das Fest!
Laß uns entfliehen dem Gedränge,
Das bald die Treppen übergießt –
Was ist uns diese fremde Menge,
Die uns wie trüber Schlamm umfließt!“
So lock‘ und lenke ich sie leise
Allnächtlich fast zu mir zurück,
Und eine Weile alte Gleise
Schleicht hin mein ungetreues Glück.
Es ist gelungen! – Mein nun wieder
Ist sie, für eine Weile mein!
Still trag‘ ich sie die Stufen nieder,
Still schläft an meiner Brust sie ein…
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Qual“ von John Henry Mackay beschreibt eine emotional aufgeladene Szene zwischen einem Liebespaar, in der der lyrische Sprecher seine Geliebte auffordert, ihn zu begleiten und sich von der äußeren Welt zurückzuziehen. Der Morgen, der „allzu mächtig“ an ihre Rückkehr erinnert, ist ein Symbol für den unausweichlichen Verlauf der Zeit und das Ende der flimmernden, intensiven Momente der Nacht. Die Geliebte erscheint in diesem Licht blass und erschöpft, was ihre Erschütterung und den Verlust von Leidenschaft und Freude signalisiert.
Der Sprecher reflektiert über den Zustand der Geliebten und deutet darauf hin, dass sie von der Lust verlassen wurde, was ihre körperliche und seelische Erschöpfung widerspiegelt. Ihre Blässe und die Müdigkeit der Worte verdeutlichen die emotionale Kälte, die zwischen den beiden zu liegen scheint. Das Gedicht beschreibt eine Beziehung, die von flimmernden, intensiven Gefühlen in eine Phase der Entfremdung und Erschöpfung übergeht. Doch statt der Trennung bietet der Sprecher einen Rückzug an, um den gemeinsamen Weg zu finden und die „fremde Menge“ hinter sich zu lassen.
Die Bilder des „Wagens“ und des „Nestes“ symbolisieren die Suche nach Geborgenheit und Rückzug aus der Welt, die die beiden in ihrer aktuellen Verfassung als belastend und fremd erleben. Der Sprecher möchte die Geliebte wie einen „müden Vogel“ in das gemeinsame Nest tragen und sich damit von der äußeren Welt abschotten. Die Metaphorik des Vogels und des Nestes spricht von einem Wunsch nach Sicherheit und Trost, während die Rückkehr in den privaten Raum der Beziehung gleichzeitig die Illusion einer heilen Welt aufrechterhält.
Am Ende des Gedichts wird die Erschöpfung und der Verlust von Freude endgültig verdeutlicht. Die „alte Gleise“ und das „ungetreue Glück“ deuten darauf hin, dass der Sprecher zwar Erfolg in der Rückkehr der Geliebten hat, aber der Zustand des Glücks und der Nähe vorübergehend bleibt. Die Geliebte schläft an seiner Brust ein, was den kurzen Moment der Versöhnung und des Trostes darstellt, doch es bleibt die Frage, ob dieser Zustand dauerhaft ist oder nur eine flüchtige Beruhigung des inneren Konflikts. Das Gedicht endet in der Erkenntnis, dass der Zyklus von Nähe und Entfremdung fortbestehen könnte.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.