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Die Achtundachtziger Weine

Von

In diesem Jahr am Rheine
sind leider gewachsen Weine,
die an Wert nur geringe,
es reiften nur Säuerlinge
im Verlauf dieses Herbstes;
nur herberes bracht er und Herbstes –
zu viel Regen, zu wenig Sonnenschein
ließ erhofften Segen zerronnen sein,
nichts Gutes floss in die Tonnen ein.
Der 88er Rheinwein
ist, leider Gottes, kein Wein,
um Leidende zu laben,
um Gram zu begraben,
um zu vertreiben Trauer;
er ist dafür zu sauer.

An der Mosel steht es noch schlimmer,
da hört man nichts als Gewimmer,
nichts als Ächzen und Stöhnen
von den Vätern und Söhnen,
den Müttern und Töchtern
über den noch viel schlechtern
Ertrag der heurigen Lese.
Der Wein ist wahrhaft böse,
ein Rachenputzer und Krätzer,
wie unter Gläubigen ein Ketzer,
wie ein Strolch, ein gefährlicher,
im dem Kreise Ehrlicher
unter guten Weinen erscheint er,
aller Freude ist ein Feind er.
Aller Lust ein Verderber;
sein Geschmack ist fast noch herber
als der des Essigs, des reinen –
ein Wein ist er zum Weinen.

Aber der Wein, der In Sachsen
in diesem Jahr ist gewachsen,
und bei Naumburg, im Tale
der rasch fließenden Saale,
der ist saurer noch viele Male
als der sauerste Moselwein.
Wenn du ihn schlürfst in dich hinein,
ist dir’s, als ob ein Stachelschwein
dir kröche durch die Kehle,
das deinen Magen als Höhle
erkor, darin zu hausen.
Angst ergreift dich und Grausen.

Aber der Grünberger
ist noch sehr viel ärger.
Lass ihn nicht deine Wahl sein!
Gegen ihn ist der Saalwein
noch viel süßer als Zucker.
Er ist ein Wein für Mucker,
für die schlechtesten Dichter
und dergleichen Gelichter.
Er macht lang die Gesichter,
blass die Wangen; wie Rasen
so grün färbt er die Nasen.
Wer ihn trinkt, den durchschauert es,
wer ihn trank, der bedauert es.
Er hat etwas so Versauertes,
dass er sich nicht lässt mildern
und schwer ist zu schildern
in Worten oder Bildern.

Aber der Züllichauer
ist noch zwölfmal so sauer
als der Wein von Grünberg,
der ist an Säure ein Zwerg
gegen den Wein von Züllichau.
Wie eine borstige wilde Sau
zu einer zarten Taube
so verhält sich, das glaube
dieser Wein zu dem Rebensaft
aus Schlesien. Er ist schauderhaft,
er ist grässlich und gräulich,
über die Maßen abscheulich.
Man sollte ihn nur auf Schächerbänken
den Gästen in die Becher schenken,
mit ihm nur schwere Verbrecher tränken,
aber nicht ehrliche Zecher kränken.

Wenn du einmal kommst
in diesem Winter nach Bomst,
deine Erfahrung zu mehren,
und man setzt, um dich zu ehren,
dir heurigen Bomster Wein vor,
dann, bitt‘ ich dich, sie dich fein vor,
dass du nichts davon verschüttest
und dein Gewand nicht zerrüttest,
weil er Löcher frisst in die Kleider
und auch in das Schuhwerk, leider.
Denn dieses Weines Säure
ist eine so ungeheure,
dass gegen ihn Schwefelsäure
der Milch gleich ist, der süßen,
die zarte Kindlein genießen.
Fällt ein Tropfen davon auf den Tisch,
so fährt er mit lautem Gezisch
gleich hindurch durch die Platte.
Eisen zerstört er wie Watte,
durch Stahl geht er wie durch Butter,
er ist aller Sauerkeit Mutter.
Standhalten vor diesem Sauern
weder Schlösser noch Mauern.
Es löst in dem scharfen Bomster Wein
sich Granit auf und Ziegelstein.
Diamanten werden sogleich,
in ihn hineingelegt, pflaumenweich,
aus Platina macht er Mürbeteig.
Dieses vergiss nicht, falls du kommst
in diesem Winter einmal nach Bomst.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Die Achtundachtziger Weine von Johannes Trojan

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht Die Achtundachtziger Weine von Johannes Trojan ist eine humoristische und satirisch übersteigerte Kritik an der Weinernte des Jahres 1888. Trojan nutzt die Form der überzogenen Klage, um in verspielter Weise über die schlechte Qualität der damaligen Weine zu spotten. Dabei steigert er das Ausmaß der geschmacklichen Katastrophe von Region zu Region, bis ins Groteske. Der Text ist eine Parodie auf ernste Naturklagen und ein kabarettistisch anmutendes Spiel mit Übertreibung, Ironie und Lautmalerei.

Die Struktur folgt einer klaren Steigerung: Beginnend mit dem „nur sauren“ Rheinwein, geht es über den noch herberen Moselwein, den fast ungenießbaren Saale- und Grünberger Wein, bis zum Höhepunkt – dem regelrecht ätzenden Bomster Wein. Sprachlich arbeitet Trojan dabei mit dichten Reimen, lautmalerischen Elementen („Gezisch“) und fantasievollen Vergleichen, die teilweise absurd-komisch anmuten. So wird etwa der Bomster Wein zur Säure erhoben, die stärker als Schwefelsäure ist und selbst Diamanten auflöst – eine ironisch-mythologische Aufladung des schlechten Jahrgangs.

Durchgehend bleibt der Ton des Gedichts heiter-spöttisch, und es lebt von seiner absurden Bildlichkeit: Der Moselwein ist ein „Rachenputzer“, der Grünberger färbt Nasen grün, der Bomster frisst Löcher in Kleidung und Möbel. Das Gedicht karikiert nicht nur schlechten Wein, sondern auch die Tendenz, Naturgegebenheiten dramatisch zu beklagen – es persifliert damit auch die literarischen Klagen über Misswuchs, Wetter und Missernte.

Neben dem Witz transportiert das Gedicht auch ein gewisses Zeitkolorit: Die Nennung der konkreten Orte – Rhein, Mosel, Saale, Schlesien – sowie die historische Einbettung in das Jahr 1888 macht den Text zu einem kulturgeschichtlichen Dokument. Es zeigt, wie regionale Eigenheiten, Erwartungen an Weinjahrgänge und der Spott über kulinarische Missstände auch literarisch verarbeitet wurden. Trojan gelingt es, aus einem scheinbar banalen Thema ein komisches Meisterstück der Übertreibung zu formen, das bis heute unterhält.

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Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.