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Mignon

Von

Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,
Im dunkeln Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht –
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Geliebter, ziehn!

Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht sein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, getan? –
Kennst du es wohl? Dahin! Dahin
Möcht ich mit dir, o mein Beschützer, ziehn!

Kennst du den Berg und seinen Wolkensteg?
Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg,
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut,
Es stürzt der Fels und über ihn die Flut –
Kennst du ihn wohl? Dahin! Dahin
Geht unser Weg; o Vater, laß uns ziehn!

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Gedicht: Mignon von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mignon“ von Johann Wolfgang von Goethe ist eines der bekanntesten Lieder aus dem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ und drückt eine tiefe Sehnsucht nach einer fernen, idealisierten Heimat aus. In eindringlichen Bildern schildert Mignon eine traumhafte Landschaft, die von südlicher Wärme, blühenden Zitronenbäumen und edlen Pflanzen geprägt ist. Diese exotische Welt steht im starken Kontrast zur Realität des Mädchens, das sich nach Geborgenheit und Zugehörigkeit sehnt.

In der zweiten Strophe wird die Sehnsucht persönlicher: Das prächtige Haus mit seinen Marmorstatuen wirkt nicht nur beeindruckend, sondern auch unheimlich. Die Frage „„Was hat man dir, du armes Kind, getan?““ deutet auf Mignons leidvolle Vergangenheit hin, die eng mit diesem Ort verknüpft ist. Ihre Erinnerung ist nicht nur von Schönheit, sondern auch von Schmerz geprägt – das Haus steht symbolisch für ein verlorenes oder unerreichbares Glück.

Die dritte Strophe steigert die Dramatik: Der sanfte Süden wird nun zu einer bedrohlichen Gebirgslandschaft mit Nebel, Drachen und herabstürzenden Felsen. Dieser gefährliche Weg scheint unausweichlich, und Mignon fleht ihren Vater – oder eine väterliche Figur – an, sie dorthin zu führen. Die Wiederholung des „Dahin! Dahin!“ verstärkt die Unbedingtheit ihres Wunsches. Das Gedicht verkörpert somit nicht nur die Sehnsucht nach einer äußeren Heimat, sondern auch nach Schutz, Liebe und der Auflösung innerer Zerrissenheit. Es bleibt offen, ob dieses Ideal jemals erreicht werden kann – Mignons Traum bleibt eine schmerzliche Utopie.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.