Er
Gedenkst du noch der Stunden,
Wo Eins zum Anderen drang?
Sie
Wenn ich dich nicht gefunden,
War mir der Tag so lang.
Er
Dann herrlich! ein Selbander,
Wie es mich noch erfreut.
Sie
Wir irrten uns an einander;
Es war eine schöne Zeit!
Er
Gedenkst du noch der Stunden,
Wo Eins zum Anderen drang?
Sie
Wenn ich dich nicht gefunden,
War mir der Tag so lang.
Er
Dann herrlich! ein Selbander,
Wie es mich noch erfreut.
Sie
Wir irrten uns an einander;
Es war eine schöne Zeit!
Das Gedicht „Erinnerung“ von Johann Wolfgang von Goethe schildert in einem kurzen, dialogischen Austausch die Rückschau auf eine vergangene Liebe. Die beiden Stimmen – „Er“ und „Sie“ – erinnern sich an die gemeinsame Zeit, jedoch mit leicht unterschiedlicher Perspektive. Während „Er“ die Intensität der Verbindung hervorhebt und das Gefühl der Einheit („Selbander“) als etwas Herrliches empfindet, klingt in den Worten von „Sie“ eine sanfte Distanz an: Sie spricht von einem „Irren aneinander“, was darauf hindeutet, dass ihre damalige Nähe vielleicht eine Illusion war.
Das Gedicht fängt die bittersüße Natur von Erinnerungen an die Liebe ein. Die gemeinsame Zeit wird als schön empfunden, doch die Reflexion darüber zeigt, dass die Beziehung nicht so vollkommen war, wie sie im Moment des Erlebens schien. Das „Irren“ deutet darauf hin, dass sich die beiden zwar nahe waren, aber möglicherweise aneinander vorbeilebten oder sich in ihren Gefühlen täuschten.
Goethe schafft in wenigen Zeilen eine subtile Spannung zwischen nostalgischer Freude und leiser Erkenntnis. Während „Er“ noch in der Verklärung der Vergangenheit schwelgt, betrachtet „Sie“ das Erlebte mit einer gewissen Reife und Distanz. So bleibt das Gedicht eine poetische Momentaufnahme der unterschiedlichen Wahrnehmung von Liebe und Erinnerung.
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