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Eins und Alles

Von

Im Grenzenlosen sich zu finden,
Wird gern der einzelne verschwinden,
Da löst sich aller Überdruss;
Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,
Statt lästgem Fordern, strengem Sollen,
Sich aufzugeben ist Genuss.

Weltseele, komm, uns zu durchdringen!
Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen,
Wird unsrer Kräfte Hochberuf.
Teilnehmend führen gute Geister,
Gelinde leitend höchste Meister
Zu dem, der alles schafft und schuf.

Und umzuschaffen das Geschaffne,
Damit sich’s nicht zum Starren waffne,
Wirkt ewiges, lebendiges Tun.
Und was nicht war, nun will es werden
Zu reinen Sonnen, farbigen Erden;
In keinem Falle darf es ruhn.

Es soll sich regen, schaffend handeln,
Erst sich gestalten, dann verwandeln;
Nur scheinbar steht’s Momente still.
Das Ewige regt sich fort in allen:
Denn alles muss in Nichts zerfallen.

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Gedicht: Eins und Alles von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Eins und Alles“ von Johann Wolfgang von Goethe thematisiert das Zusammenspiel von Individuum und Welt, die ewige Bewegung des Seins und die Notwendigkeit von Veränderung. In den ersten Versen beschreibt Goethe das Aufgehen des Einzelnen im Grenzenlosen als eine Befreiung von persönlichem Verlangen und Zwängen. Statt egoistischen Wünschen und Pflichten wird die Hingabe an das Ganze als wahrer Genuss dargestellt – eine Vorstellung, die stark an pantheistische oder naturphilosophische Konzepte erinnert.

Die zweite Strophe verweist auf eine höhere Ordnung, in die das Individuum eingebunden ist. Die „Weltseele“ und der „Weltgeist“ symbolisieren eine universelle Kraft, die sowohl durch die Menschen als auch durch übergeordnete Mächte wirkt. Die „höchsten Meister“ leiten den Menschen auf seinem Weg, hin zu dem, „der alles schafft und schuf“. Hier klingt eine transzendente Vorstellung an, die jedoch nicht in passiver Verehrung mündet, sondern in aktiver Teilnahme am schöpferischen Prinzip.

Die letzte Strophe bringt Goethes zentrale Naturphilosophie zum Ausdruck: Alles ist in ständiger Bewegung, Stillstand existiert nur scheinbar. Schöpfung bedeutet ständige Veränderung, ein fortwährendes Werden und Vergehen. Die Schlusszeile – „Denn alles muss in Nichts zerfallen“ – unterstreicht die unausweichliche Vergänglichkeit aller Dinge, doch in dieser Vergänglichkeit liegt zugleich die Grundlage für neues Entstehen. So formuliert Goethe eine lebensbejahende Sicht, in der Wandel und Vergänglichkeit nicht als Bedrohung, sondern als essenzieller Teil des Daseins verstanden werden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.