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Der Schatzgräber

Von

Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt ich meine langen Tage.
Armut ist die größte Plage,
Reichtum ist das höchste Gut!
Und zu enden meine Schmerzen,
Ging ich, einen Schatz zu graben.
„Meine Seele sollst du haben!“
Schrieb ich hin mit eignem Blut.

Und so zog ich Kreis‘ um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Auf dem angezeigten Platze:
Schwarz und stürmisch war die Nacht.

Und ich sah ein Licht von weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller ward’s mit einem Male
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.

Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkranze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis herein.
Und er hieß mich freundlich trinken;
Und ich dacht: Es kann der Knabe
Mit der schönen, lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.

„Trinke Mut des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens.
Tages Arbeit! Abends Gäste!
Saure Wochen! Frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.“

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Gedicht: Der Schatzgräber von Johann Wolfgang von Goethe

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Schatzgräber“ von Johann Wolfgang von Goethe erzählt in einer symbolhaften, fast märchenhaften Form die Wandlung eines verzweifelten Menschen. Das lyrische Ich, arm und lebensmüde, sucht nach einem Schatz, um sein Leid zu beenden. In seiner Not ist es sogar bereit, seine Seele zu verkaufen. Die düstere Szenerie, mit geheimnisvollen Beschwörungen und einer stürmischen Nacht, unterstreicht die verzweifelte Hoffnung auf Reichtum als vermeintliche Lösung aller Probleme.

Doch anstelle eines Schatzes erscheint ein Knabe mit einer leuchtenden Schale, der das lyrische Ich auffordert zu trinken. Seine freundliche Ausstrahlung und sein reines Licht deuten darauf hin, dass er nicht eine dunkle Macht, sondern eine positive, lebensbejahende Kraft verkörpert. Der Trank, den er anbietet, ist kein Zaubermittel für schnellen Reichtum, sondern eine Belehrung über den wahren Wert des Lebens.

Die abschließenden Worte des Knaben geben dem Gedicht seine zentrale Botschaft: Wahres Glück liegt nicht im mühevollen Graben nach Reichtum, sondern in einer ausgeglichenen Lebensweise. „Tages Arbeit! Abends Gäste! / Saure Wochen! Frohe Feste!“ – dieses „Zauberwort“ weist auf ein Leben im Einklang zwischen Mühe und Freude hin. Goethe lehnt damit die Vorstellung ab, dass Glück allein durch materiellen Besitz zu finden sei, und plädiert stattdessen für eine harmonische Lebensführung, in der Arbeit und Genuss im Gleichgewicht stehen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.