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Reisegesang

Von

So brech‘ ich auf von diesem Ort
Und zieh‘ in deinem Namen fort,
Herr Gott, du wirst mich gleiten
Und über mich, dein liebes Kind,
Das gar nichts ist als Staub und Wind,
Die Gnadenflügel breiten,
Damit ich mag vor allen Dingen
Die Reise glücklich vollenbringen.

Gib, daß die lieben Engelein,
Die starken Helden, bei mir sein
Auf allen meinen Wegen
Und zwischen die, so dieser Zeit
Mir nachzustellen sind bereit,
Und zwischen mich sich legen;
Herr, schütze mich durch deine Gnade,
So trifft mich weder Schimpf noch Schade.

Viel treuer Wächter hast du mir
Verordnet, daß sie für und für
Mein Leben wol bewahren;
Wo sie nun brauchen ihre Macht,
Da kan mir weder Tag noch Nacht
Kein Arges widerfahren,
Denn diese Geister sind verbunden,
Vor mich zu wachen alle Stunden.

Und sol ich denn mein täglich Brot,
Auch was mir sonst zum Leben not,
In meinem Haus erwerben,
So bleibe du mein Hülf‘ und Schutz,
Vertreibe weit des Satans Trutz
Und laß mich nicht verderben.
Wilt du mir nur dein‘ Hand verleihen,
So darf ich gar kein Unglück scheuen.

Sol ich mich aber fügen hin,
Wo müglich ich ein Fremder bin,
Und hin und wieder reisen,
So wolle ja dein göttlichs Licht
Mich auf der Fahrt verlassen nicht,
Besondern mir erweisen,
Daß du, mein Gott, zu jeden Zeiten
Zugegen bist den Wandersleuten.

Dieweil auch sind der Feinde viel,
So führe mich zum rechten Ziel,
O Herr, auf allen Straßen;
Laß deine Diener bei mir stehn,
Daß, wie Tobias ist geschehn,
Sie nimmer von mir lassen;
Denn wann mich diese Helden führen,
So kan kein Unfall mich berühren.

Herr, biete mir die Gnadenhand,
Ich sei zu Wasser oder Land,
In Feldern, Wäldern, Hecken,
Da wirst du mich in aller Not
Für Räubern, Fallen, Schand und Tod
Mit deiner Macht bedecken;
Wenn du mir nur wilt Hülf‘ erteilen,
So kan kein Unfall mich ereilen.

Solt ich auch kommen, wo das Gift
Der schnellen Pest die Menschen trifft
Und durch die Länder wütet,
So schütze mich nach deinem Rat:
Ich weiß, der dich zum Führer hat,
Der bleibet wol behütet;
Sind doch mein Haar‘ also gezählet,
Daß sonder dich auch eins nicht fehlet.

Sol denn ein Unfall treffen mich,
So warne mich, Herr, gnädiglich,
Gleichwie der Stern die Weisen;
Schweb‘ über mir, o du mein Heil,
Wie dort die Feur- und Wolkenseul,
Auf allen meinen Reisen,
Doch wil ich meinen Rat und Willen
Nach deinem Rat und Willen stillen.

Verleihe mir, o treuer Gott,
Daß ich nicht fall in Sünd und Spott
Auf unbekanten Wegen,
Daß auch die Feind aus bösem Sinn,
Im Fall ich nicht zugegen bin,
Kein Unglück mir erregen;
Du wollest doch an keinen Enden
Die Gnadenhände von mir wenden.

Beschirm‘, o Vater, Seel‘ und Leib,
Samt Ehr‘ und Gut, Haus, Kind und Weib,
Und was mir mehr gegeben;
Und wenn es dir also gefällt,
Daß in der Fremd‘ ich aus der Welt
Zu dir mich sol erheben,
So stärke mich, daß ich mit Freuden,
Mein Gott, von hinnen möge scheiden.

Drauf reis‘ ich hin zu diesem mal
Durch Wälder, Felder, Berg und Thal,
Weil Gott mir ist zur Seiten;
Der wird mich kräftig diesen Weg
Und folgends auch den schmalen Steg
Zum Himmel wol begleiten.
Da werd‘ ich ihn denn frölich sehen,
Wann nun mein Reisen ist geschehen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Reisegesang von Johann Rist

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Reisegesang“ von Johann Rist ist ein frommes Gebet, das den Schutz Gottes für eine bevorstehende Reise erbitten will. In einer Zeit, in der Reisen mit großen Gefahren verbunden waren, vertraut sich das lyrische Ich bewusst der göttlichen Führung an und bittet um Beistand durch Engel und göttliche Kräfte. Die Reise wird zugleich als Symbol für den Lebensweg und die Reise in das ewige Leben gedeutet.

Rist strukturiert sein Gedicht in klaren Bitten: um Schutz auf den Wegen, um Bewahrung vor Feinden, Krankheiten und Gefahren, aber auch um geistliche Standhaftigkeit gegen Sünde und Verführung. Immer wieder wird die Macht Gottes als allgegenwärtige Kraft beschworen, die auf allen Wegen schützend eingreift. Der Bezug auf die biblische Geschichte des Tobias, der von einem Engel begleitet wird, verdeutlicht die Hoffnung auf sichtbare göttliche Hilfe.

Sprachlich ist das Gedicht von einfacher Klarheit geprägt, was der ernsten und gläubigen Grundstimmung entspricht. Wiederholungen wie die Bitten um Schutz, Hilfe und Bewahrung strukturieren den Text und unterstreichen das demütige Vertrauen des Sprechers. Naturbilder wie „Wälder, Felder, Berg und Thal“ erweitern die konkrete Reise zu einer universalen Pilgerreise des Menschen durch das Leben.

Insgesamt ist „Reisegesang“ eine tief religiöse Meditation über Schutz, Vertrauen und das Ziel des Lebens: die Heimkehr zu Gott. Die irdische Reise wird zum Vorbild für die spirituelle Reise zur ewigen Heimat. Möchtest du noch eine kurze Übersicht über die wichtigsten biblischen Anspielungen im Gedicht?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.