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Der Herbsttag

Von

Die Bäume stehn der Frucht entladen,
Und gelbes Laub verweht ins Tal;
Das Stoppelfeld in Schimmerfaden
Erglänzt am niedern Mittagsstrahl.
Es kreist der Vögel Schwarm, und ziehet;
Das Vieh verlangt zum Stall, und fliehet
Die magern Aun, vom Reife fahl.

O geh am sanften Scheidetage
Des Jahrs zu guter letzt hinaus;
Und nenn ihn Sommertag und trage
Den letzten schwer gefundnen Strauß.
Bald steigt Gewölk, und schwarz dahinter
Der Sturm, und sein Genoß, der Winter,
Und hüllt in Flocken Feld und Haus.

Ein weiser Mann, ihr Lieben, haschet
die Freuden im Vorüberfliehn,
Empfängt, was kommt unüberraschet,
Und pflückt die Blumen, weil sie blühn.
Und sind die Blumen auch verschwunden;
So steht am Winterherd umwunden
Sein Festpokal mit Immergrün.

Noch trocken führt durch Tal und Hügel
Der längst vertraute Sommerpfad.
Nur rötlich hängt am Wasserspiegel
Der Baum, den grün ihr neulich saht.
Doch grünt der Kamp vom Winterkorne;
Doch grünt beim Rot der Hagedorne
Und Spillbeern, unsre Lagerstatt!

So still an warmer Sonne liegend,
Sehn wir das bunte Feld hinan,
Und dort, auf schwarzer Brache pflügend,
Mit Lustgepfeif, den Ackermann:
Die Kräh’n in frischer Furche schwärmen
Dem Pfluge nach, und schrein und lärmen;
Und dampfend zieht das Gaulgespann.

Natur, wie schön in jedem Kleide!
Auch noch im Sterbekleid wie schön!
Sie mischt in Wehmut sanfte Freude,
Und lächelt tränend noch im Gehen.
Du, welkes Laub, das niederschauert,
Du Blümchen, lispelst: Nicht getrauert!
Wir werden schöner auferstehn!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Der Herbsttag von Johann Heinrich Voß

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Herbsttag“ von Johann Heinrich Voß ist eine poetische Reflexion über den Übergang vom Sommer zum Herbst und eine tiefgründige Betrachtung der Vergänglichkeit im Spiegel der Natur. Es verbindet klassische Naturbeschreibung mit philosophischer Lebensweisheit und einem leisen, tröstlichen Optimismus. Der Herbst erscheint hier nicht nur als Endpunkt eines natürlichen Zyklus, sondern auch als ein Moment der Sammlung und inneren Reifung.

In den ersten Strophen zeichnet Voß ein atmosphärisch dichtes Bild des Herbstes: Die Bäume haben ihre Früchte abgegeben, das Laub fällt, und das Vieh zieht vom Feld zurück in den Stall. Die Natur zieht sich zurück, bereitet sich auf den Winter vor. Trotz der Anzeichen von Verfall und Abschied wird diese Zeit nicht als traurig, sondern als sanft und würdevoll geschildert. Der Tag des Scheidens ist ein „sanfter Scheidetag“, und der Herbsttag darf sogar noch als „Sommertag“ benannt werden – eine Einladung, den Moment bewusst zu würdigen, bevor Dunkelheit und Kälte kommen.

Der zentrale Gedanke des Gedichts liegt in der Mahnung zur Lebensklugheit: Der „weise Mann“ lebt im Einklang mit der Zeit, nimmt das Schöne an, solange es da ist, und trauert nicht über dessen Verlust. Die Blumen des Sommers werden zwar verblühen, doch im „Festpokal mit Immergrün“ lebt ihre Erinnerung symbolisch weiter. Diese Metapher zeigt, wie geistige Haltung und bewusste Lebensführung den natürlichen Lauf des Lebens verwandeln können: Aus dem Vergänglichen wird etwas Dauerhaftes geschaffen.

Besonders eindrucksvoll ist die fünfte Strophe, in der das herbstliche Arbeiten des Bauern beschrieben wird: Trotz der brachen Felder herrscht keine Starre, sondern Bewegung und Leben. Der Acker wird neu bestellt, die Krähen folgen dem Pflug, und das Pferdegespann dampft in der kühlen Luft. Hier wird der Kreislauf der Jahreszeiten mit dem menschlichen Tun verknüpft – das Ende des einen bedeutet den Anfang des anderen. Auch der Mensch gehört in diesen Rhythmus hinein.

Die Schlussstrophe fasst die Botschaft des Gedichts mit besonderer Kraft zusammen. Der Herbst, in seinem „Sterbekleid“, bleibt schön – ein Ausdruck tiefer Naturverehrung. Die Melancholie des Verfalls wird durch ein tröstliches Zukunftsbild gemildert: Das welkende Laub und die sterbenden Blumen sprechen sinnbildlich zu uns und verkünden Auferstehung und Erneuerung. Damit verleiht Voß dem Gedicht einen hoffnungsvollen Ausklang – der Tod in der Natur ist nicht das Ende, sondern Teil eines ewigen Kreislaufs.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.