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Zur Weinlese

Von

Herr Bacchus ist der beste Mann
Zu einem Schutzpatrone;
Wir nehmen ihn zum Heilgen an:
Bringt her die Epheukrone.

Es mag Herkul, der Griesgram, sich
Mit Ungeheuern hauen;
Hier wollen wir uns brüderlich
Bey Libers Schlauch erbauen.

Mag Orpheus vor der Höllenthür,
Der Bänkelsänger, leyern;
Hier wollen wir ein Fest dafür
Dem Rebengotte feyern.

Der Paduaner Anton mag
Mit weisen Fischen reden;
Hier wollen wir bey dem Gelag
Im Wein die Grillen tödten.

Mag unsertwegen hundert Jahr,
Zum Troste frommer Seelen,
Ein dicker Mönch Sanct Januar
Noch eins zu Tode quälen:

Mag ganz Neapel Zeter schreyn,
So lang‘ er nicht will schwitzen;
Hier wollen wir im Rebenhain
Bey großen Trauben sitzen:

Mit Weinlaub unser Haupt bekrönt,
Und Thyrsen unsre Lanzen,
Wenn hoch der Chor Evoeh tönt,
Um Vater Bacchus tanzen:

Rund um den großen Wundermann
Und seine Tieger springen;
Und wer den Chor nicht halten kann,
Doch mit Evoeh singen.

Er schuf der Kelter Zaubersaft,
Und gab in Purpurreben
Den Erdensöhnen Götterkraft
Zu einem neuen Leben.

Er wandelt durch das Erdenrund
Wohlthätig mit Geschenken,
Vom Indusstrande nach Burgund,
Die Sterblichen zu tränken.

Von Cypern bis zum Hoffnungskap,
Von Tokay bis zum Rheine
Deckt, wo er geht, sein Götterstab
Die Hügel stracks mit Weine.

Er schickt sein gramverscheuchend Gut
Entfernten Nationen,
Die nah am Pol mit kaltem Blut
Im Schoos des Winters wohnen.

Trinkt, Brüder, laßt uns Sterblichkeit
Und Gruft und Tod vergessen,
Und uns schon jetzt mit Ewigkeit
Und mit den Göttern messen.

Trinkt, Winzer, eure Humpen leer,
Und füllet Korb und Ständer,
Und lehnt, wird euch das Haupt zu schwer,
Euch fest an das Geländer.

Evoeh, Bacche, Jacche!
Lyäens Nektar winket;
Hebt volle Tummler in die Höh,
Jauchzt Libern Dank, und trinket.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Zur Weinlese von Johann Gottfried Seume

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Zur Weinlese“ von Johann Gottfried Seume ist eine ausgelassene, heiter-ironische Lobpreisung des Weingottes Bacchus (auch Liber oder Lyäus genannt) und zugleich eine satirische Absage an religiöse Askese, heroischen Ernst und moralisierende Weltflucht. In schwungvollen Strophen feiert Seume nicht nur die Freuden der Weinlese, sondern erhebt das Trinken zu einem poetisch-philosophischen Gegenentwurf zu einer durch Entsagung geprägten Lebenshaltung.

Schon die ersten Verse bringen diesen Kontrast auf den Punkt: Während klassische Helden wie Herkules gegen Ungeheuer kämpfen oder Heilige Wunder wirken, preist das lyrische Ich Bacchus als den „besten Mann“ und wählt ihn mit augenzwinkernder Ernsthaftigkeit zum „Schutzpatron“. Der Ton ist verspielt, doch steckt darin auch ein kulturkritischer Impuls – Bacchus steht für Sinnlichkeit, Lebensfreude und Gemeinschaft, ganz im Gegensatz zu strengen Heiligen oder asketischen Idealen.

Der Wein wird hier zum Symbol eines befreiten Lebens. Das „tödten der Grillen“ – also das Vertreiben von Sorgen und düsteren Gedanken – wird durch das gemeinsame Trinken zum eigentlichen Ziel. Selbst religiöse Figuren wie der heilige Antonius oder der „dicke Mönch Sanct Januar“ werden humorvoll entmachtet, während Bacchus mit Trauben, Reben und Tanz die Szene dominiert. Die antike Bildsprache (Thyrsos, Evoeh-Rufe, Tänze mit Tigern) unterstreicht den rituellen, fast ekstatischen Charakter des Festes.

Im mittleren Teil weitet Seume die Wirkung des Bacchus aus: Der Weingott wird zum Weltreisenden, der mit seinem „Götterstab“ selbst kalte, abgelegene Regionen segnet. Hier vermischt sich mythologische Überhöhung mit Aufklärungsidealen – der Wein als „Zaubersaft“ spendet Trost, Wärme und Menschlichkeit, unabhängig von Ort und Kultur. Der Wein ersetzt das Jenseitsversprechen durch diesseitige Freude, ja wird zum Mittel, sich „mit den Göttern messen“ zu können.

Am Ende mündet das Gedicht in einen festlichen Appell: Die Winzer sollen trinken, feiern, sich anlehnen, wenn das Haupt zu schwer wird – eine Einladung zur kollektiven Sinnesfreude. Der abschließende Bacchus-Ruf („Evoeh, Bacche, Jacche!“) erinnert an antike Dionysos-Mysterien und bringt das heitere Pathos des Gedichts auf den Höhepunkt.

„Zur Weinlese“ ist damit mehr als nur ein Trinklied – es ist eine poetische Lebensphilosophie. Seume feiert nicht den Rausch um seiner selbst willen, sondern den Wein als Sinnbild für irdische Lust, gemeinschaftliche Freude und die Befreiung von Schwermut, Moralzwang und Angst vor dem Tod.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.