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Arie

Von

Schwarz ist mein Pfad, den mir auf dickem Dorne
Die Eisenhand
Der Parze wies, als sie mir einst im Zorne
Den Faden wand.
Was hast du, Welt, das ich zum Pilgermahle
Noch hoffen darf,
Ach, den das Schicksal aus dem Satz der Schale
Zum Trotze warf?
Es lagert sich von mißgeschaffnen Gnomen
Um meine Stirn
Ein Heer und quält mit stygischen Phantomen
Mein Herz und Hirn!
Mein Wandelplatz sind lange Todtenhallen,
Wo Fürst und Knecht
Im Arm der Zeit zu gleichem Moder fallen
Und gleichem Recht.
Wo gleicher Schutt auf Knochen stolzer Edeln
Und Fröner fällt,
Wo schwelgerisch der Wurm in beider Schädeln
Behausung hält.
Da hat für mich der Mutterschoos der Erde,
Mir jetzt so karg,
Doch Platz, wenn ich zurücke kehren werde,
Für meinen Sarg.
Und weigerte man mir auch Sarg und Decke,
Was liegt mir dran?
Flaum oder Stein ist Eins; an welchem Flecke,
Geht mich nichts an.

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Gedicht: Arie von Johann Gottfried Seume

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Arie“ von Johann Gottfried Seume ist ein düsterer, klagender Monolog über Leid, Enttäuschung und die Hoffnungslosigkeit menschlicher Existenz. In kunstvoll komponierten Strophen voller klassischer Anspielungen und tiefer Resignation beschreibt Seume ein Leben, das von Anfang an durch das Schicksal zum Schmerz bestimmt war. Der Ton ist pathetisch, fast dramatisch – entsprechend dem Titel „Arie“ –, doch zugleich durchdrungen von einer philosophischen Nüchternheit, die jede Illusion überwindet.

Bereits im ersten Bild – der schwarze Pfad, gewiesen durch die „Eisenhand der Parze“ – wird deutlich, dass das lyrische Ich sich als Opfer einer höheren, unbarmherzigen Macht begreift. Die Parzen, in der antiken Mythologie die Schicksalsgöttinnen, haben seinen Lebensfaden nicht in Gunst, sondern „im Zorne“ gesponnen. Seumes Bildsprache ist hier bewusst antikisierend und feierlich, um das Ausmaß des existenziellen Konflikts zu unterstreichen.

In den folgenden Strophen vertieft sich das Motiv der Weltverachtung und inneren Vereinsamung. Die Welt hat nichts mehr zu bieten, der Sprecher fühlt sich vom Schicksal „zum Trotze“ aus der Ordnung gestoßen. Dämonische Bilder – „missgeschaffne Gnome“, „stygische Phantome“ – bevölkern sein Denken, das von Angst, Qual und tiefer Melancholie bestimmt ist. Die Seele wirkt belagert, das Bewusstsein gepeinigt.

Diese seelische Düsternis findet ihre räumliche Entsprechung in den „Todtenhallen“, in denen der Sprecher wandelt. Dort, wo der Tod alle Unterschiede einebnet – zwischen Fürst und Knecht, Edelmann und Fröner –, offenbart sich eine radikale Gleichheit im Verfall. Die Würde des Einzelnen ist ausgelöscht, der Tod als großer Gleichmacher zeigt sich in der makabren Vorstellung vom Wurm, der sich schwelgerisch in allen Schädeln gleichermaßen einnistet.

Im letzten Teil findet sich schließlich eine Art Resignation in den Tod hinein: Selbst wenn man ihm Sarg und Grab verweigerte, wäre es gleichgültig – „Flaum oder Stein ist Eins“. Dieser Schluss bringt die radikale Verinnerlichung der Verzweiflung zum Ausdruck: Das äußere Schicksal verliert seine Bedeutung, weil das Innere längst erschöpft ist. Es bleibt nichts als die Rückkehr in die Erde – ohne Trost, aber auch ohne Furcht.

„Arie“ ist ein kraftvolles Beispiel für Seumes Fähigkeit, existentielle Themen mit dichterischer Würde zu gestalten. Das Gedicht steht zwischen stoischer Weltabkehr und romantischer Todessehnsucht – und bleibt in seiner Klarheit und Konsequenz eine eindrucksvolle Stimme philosophischer Melancholie.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.