Nichts verliert sich
Nicht der brausende Strom zürnt mit dem rieselnden Bache,
Nicht der rieselnde Bach zürnt mit dem fallenden Thau;
Alle rollen vereint zum weiten, unendlichen Meere,
Wo sich ihr Name verliert, wo ihre Welle zerrinnt.
Aber sieh, vom gewaltigen Meer ziehn Dämpfe gen Himmel,
Schweben als Wolken umher, regnen in Tropfen herab;
Ketten der Berge ziehen sie an und erhabene Gipfel,
Quellen strömen ins Land, Kräuter und Blumen entstehn.
Nein, kein Tropfe verlor sich im Meer und dem endlosen Aether;
Darum, lieblicher Bach, rolle die Welle getrost!
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Nichts verliert sich“ von Johann Gottfried Herder beschreibt die zyklische und unaufhörliche Bewegung der Natur und hebt die Idee hervor, dass nichts wirklich verloren geht, sondern dass alles Teil eines größeren Kreislaufs ist. Zu Beginn wird der „brausende Strom“ und der „rieselnde Bach“ in einem Bild der Harmonie und des Zusammenspiels gezeigt. Sie „zürnen“ einander nicht, sondern rollen zusammen zum „unendlichen Meer“, wo ihre Namen verschwinden und ihre Wellen sich „zerrinnen“. Dies könnte als Metapher für die Vereinheitlichung und das Aufgehen des Einzelnen in etwas Größerem interpretiert werden, wobei der individuelle Name und die Form zwar verschwinden, die Essenz jedoch fortbesteht.
In der zweiten Strophe zeigt sich die Kontinuität des natürlichen Kreislaufs: Vom „gewaltigen Meer“ steigen „Dämpfe gen Himmel“, die sich in Wolken verwandeln und als Regen wieder herabfallen. Diese Kreislaufbewegung – von Wasser, das verdunstet und wieder als Regen zurückkehrt – unterstreicht die Idee, dass nichts verloren geht, sondern alles in einem ewigen Fluss von Transformation und Erneuerung eingebunden ist. Der Regen, der die „Ketten der Berge“ anzieht und Quellen speist, lässt neues Leben in Form von „Kräutern und Blumen“ entstehen. Hier wird das Prinzip der Erneuerung und der ständigen Wiedergeburt betont.
Die letzte Strophe gibt eine ermutigende Botschaft an den „lieblicher Bach“, der seine „Welle getrost rollen“ soll. Obwohl der Bach in das große Meer fließt und seine Einzelheit dort scheinbar aufgelöst wird, bleibt er Teil eines fortlaufenden Prozesses, in dem nichts verloren geht. Der Tropfen, der ins Meer fließt, verschwindet nicht, sondern ist ein wesentlicher Teil des natürlichen Kreislaufs, der das Leben immer wieder erneuert und umgestaltet. Diese Idee gibt dem Leser ein Gefühl der Geborgenheit und des Trostes, dass selbst die kleinsten Handlungen und Veränderungen Teil eines größeren, unaufhörlichen Prozesses sind, in dem nichts verloren geht.
Insgesamt vermittelt das Gedicht eine tief philosophische und naturverbundene Weisheit, die den natürlichen Kreislauf als ein unendliches System von Transformation und Wiedergeburt darstellt. Es fordert uns auf, mit Vertrauen in den Fluss des Lebens zu leben, auch wenn es scheint, als ob Einzelnes verloren geht, denn alles wird in einem größeren Zusammenhang weitergeführt.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.