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Erlkönigs Tochter

Von

Herr Oluf reitet spät und weit,
Zu bieten auf seine Hochzeitsleut;

Da tanzen die Elfen auf grünem Land,
Erlkönigs Tochter reicht ihm die Hand.

„Willkommen, Herr Oluf! Was eilst von hier?
Tritt her in den Reihen und tanz mit mir.“

„Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeittag.“

„Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,
Zwei güldne Sporne schenk ich dir.

Ein Hemd von Seide so weiß und fein,
Meine Mutter bleicht’s mit Mondenschein.“

„Ich darf nicht tanzen, nicht tanzen ich mag,
Frühmorgen ist mein Hochzeitstag.“

„Hör an, Herr Oluf, tritt tanzen mit mir,
Einen Haufen Goldes schenk ich dir.“

„Einen Haufen Goldes nähm ich wohl;
Doch tanzen ich nicht darf noch soll.“

„Und willt, Herr Oluf, nicht tanzen mit mir,
Soll Seuch und Krankheit folgen dir.“

Sie tät einen Schalg ihm auf sein Herz,
Noch nimmer fühlt er solchen Schmerz.

Sie hob ihn bleichend auf sein Pferd.
„Reit heim nun zu deine’m Fräulein wert.“

Und als er kam vor Hauses Tür,
Seine Mutter zitternd stand dafür.

„Hör an, mein Sohn, sag an mir gleich,
Wie ist dein‘ Farbe blaß und bleich?“

„Und sollt sie nicht sein blaß und bleich,
Ich traf in Erlenkönigs Reich.“

„Hör an, mein Sohn, so lieb und traut,
Was soll ich nun sagen deiner Braut?“

„Sagt ihr, ich sei im Wald zur Stund,
Zu proben da mein Pferd und Hund.“

Frühmorgen und als es Tag kaum war,
Da kam die Braut mit der Hochzeitschar.

„Sie schenkten Met, sie schenkten Wein;
Wo ist Herr Oluf, der Bräutigam mein?“

„Herr Oluf, er ritt in Wald zur Stund,
Er probt allda sein Pferd und Hund.“

Die Braut hob auf den Scharlach rot,
Da lag Herr Oluf, und er war tot.

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Gedicht: Erlkönigs Tochter von Johann Gottfried Herder

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Erlkönigs Tochter“ von Johann Gottfried Herder erzählt eine unheilvolle Ballade, in der der junge Herr Oluf auf dem Weg zu seiner Hochzeit von einer übernatürlichen Macht – der Tochter des Erlkönigs – verführt und schließlich dem Tod geweiht wird. Die Handlung ist von Motiven der nordischen und deutschen Volksdichtung geprägt und thematisiert den Zwiespalt zwischen der Verlockung des Übersinnlichen und der Bindung an die irdische Welt.

Herr Oluf gerät spät in der Nacht in den Bannkreis der Elfen und der Erlkönigstochter, die ihn mit Geschenken und Versprechen lockt. Trotz der verheißungsvollen Angebote – Gold, güldene Sporen und ein Hemd aus Mondenschein – bleibt er standhaft und verweigert den Tanz, da seine Hochzeit bevorsteht. Die wiederholte Ablehnung betont seine Pflichterfüllung, doch die magische Macht der Erlkönigstochter duldet keinen Widerstand: Mit einem tödlichen Schlag besiegelt sie sein Schicksal.

Das Gedicht lebt von der düsteren Atmosphäre und der Spannung zwischen Leben und Tod. Die Elfenwelt steht für Verführung, Gefahr und das Unheimliche der Natur, während Herr Olufs Hochzeit das geordnete, menschliche Leben symbolisiert. Die Figur der Erlkönigstochter verkörpert dabei eine archetypische Todesbotin, die den Helden von der diesseitigen Welt fortreißt.

Herders Sprache ist schlicht und volkstümlich, was die Balladenform unterstützt und den dramatischen Kontrast zwischen dem Verlockenden und dem Bedrohlichen der Elfenwelt schärft. Am Ende zeigt sich die Tragik: Herr Olufs Tod bleibt zunächst verborgen, bis die Braut und die Hochzeitsgesellschaft vergeblich auf ihn warten. Der Tod des Bräutigams wird so zu einem bitteren Symbol für das Unvermeidliche, das sich hinter den Verlockungen des Übernatürlichen verbirgt.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.