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Übergewicht

Von

Es stand nach einem Schiffsuntergange
Eine Briefwaage auf dem Meeresgrund.
Ein Walfisch betrachtete sie bange,
Beroch sie dann lange,
Hielt sie für ungesund,
Ließ alle Achtung und Luft aus dem Leibe,
Senkte sich auf die Wiegescheibe
Und sah – nach unten schielend – verwundert:
Die Waage zeigte über Hundert.

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Gedicht: Übergewicht von Joachim Ringelnatz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Übergewicht“ von Joachim Ringelnatz erzählt auf humorvolle und skurrile Weise eine kleine Szene auf dem Meeresgrund. Der Ausgangspunkt ist der absurde Fund einer Briefwaage nach einem Schiffsuntergang – ein Alltagsgegenstand, der völlig deplatziert im Reich der Meerestiere erscheint. Bereits diese ungewöhnliche Situation eröffnet den typisch ringelnatzschen Ton zwischen Komik und leiser Melancholie.

Der Walfisch wird als neugieriger, beinahe ängstlicher Beobachter dargestellt, der die fremde Erscheinung zunächst mit Skepsis betrachtet und beäugt. Seine Unsicherheit und sein instinktives Misstrauen verleihen dem Gedicht eine menschliche Note und spielen zugleich mit der Diskrepanz zwischen der massiven Größe des Wals und der Zerbrechlichkeit der kleinen Waage.

In einer Mischung aus kindlicher Neugier und Komik legt sich der Wal schließlich auf die Waage, was zu dem vorhersehbaren, aber dennoch witzigen Ergebnis führt: Die Waage schlägt weit über Hundert aus. Die kindlich-naive Verwunderung des Wals über das Ergebnis unterstreicht den ironischen Unterton, mit dem Ringelnatz die Relativität menschlicher Maßstäbe gegenüber der Natur kommentiert.

Das Gedicht lädt zum Schmunzeln ein, weist aber zugleich auf eine tiefere Ebene hin: Es thematisiert auf leichte, spielerische Weise die Unsinnigkeit, kleine, menschliche Maßsysteme auf eine Welt anzuwenden, die von ganz anderen Dimensionen beherrscht wird. Ringelnatz gelingt es dabei, Komik, Fantasie und eine leise, nachdenkliche Kritik an menschlicher Selbstüberschätzung miteinander zu verbinden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.