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Stammbuchvers

Von

So an ein Stammbuch hingezerrt
hat man Verdruss.
Man fühlt sich aufs Klosett gesperrt
Obwohl man gar nicht muss.

Denn mancher Gast will weitergehn
Und will nichts stehen lassen
Und seine Klexe ungesehen
Nur werfen, wo sie passen.

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Gedicht: Stammbuchvers von Joachim Ringelnatz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Stammbuchvers“ von Joachim Ringelnatz ist eine ironisch-humorvolle Reflexion über die Unsicherheit und den Zwang, der mit dem Schreiben in ein Stammbuch verbunden sein kann. Ringelnatz nutzt seine typische Mischung aus Sprachwitz und schräger Alltagspoesie, um das Unbehagen zu schildern, das viele beim Verfassen solcher Einträge empfinden.

Bereits in der ersten Strophe wird deutlich, dass das lyrische Ich sich gegen seinen Willen in die Rolle des Verfassers gedrängt fühlt. Die absurde, aber wirkungsvolle Metapher des „aufs Klosett gesperrt“ vermittelt ein Gefühl der Beklemmung und Zwecklosigkeit – man sitzt fest, obwohl man „gar nicht muss“. Der vermeintlich harmlose Akt des Einschreibens wird so zum unangenehmen Zwang.

In der zweiten Strophe weitet sich der Blick auf andere Gäste, die ähnliche Empfindungen zu haben scheinen. Diese wollen „weitergehn“ – also nicht verweilen oder sich mit einem tiefsinnigen Eintrag aufhalten – und suchen verzweifelt nach einer Möglichkeit, ihre „Klexe“, also banale oder peinliche Gedanken, möglichst unauffällig unterzubringen. Der Text spielt mit der Doppeldeutigkeit zwischen Schreiben und Verbergen, zwischen Ausdruck und Selbstschutz.

Ringelnatz kritisiert hier augenzwinkernd die gesellschaftliche Konvention des Stammbuchs, in das man sich möglichst originell oder weise eintragen soll. Statt echter Worte entsteht oft nur ein Zwang zur Kreativität, der letztlich zu Belanglosigkeit oder Verlegenheit führt. Mit leichter Hand entlarvt der Dichter die Absurditäten höfischer oder bürgerlicher Rituale, ohne dabei belehrend zu wirken.

Das Gedicht lebt von seiner saloppen Sprache, dem bewusst gewählten Alltagsvokabular und der drastischen Komik, die Ringelnatz typisch macht. Es ist ein kleiner, aber präziser Kommentar zum Verhältnis von Individuum und gesellschaftlicher Erwartung – charmant, sarkastisch und sehr menschlich.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.