Die Zeit vergeht,
Das Gras verwelkt,
Die Milch entsteht,
Die Kuhmagd melkt.
Die Milch verdirbt.
Die Wahrheit schweigt.
Die Kuhmagd stirbt.
Ein Geiger geigt.
Die Zeit vergeht,
Das Gras verwelkt,
Die Milch entsteht,
Die Kuhmagd melkt.
Die Milch verdirbt.
Die Wahrheit schweigt.
Die Kuhmagd stirbt.
Ein Geiger geigt.
Das Gedicht „Liedchen“ von Joachim Ringelnatz fasst in wenigen Zeilen den Kreislauf von Werden und Vergehen in schlichten, lakonischen Bildern zusammen. Mit einer beinahe kindlichen Sprache reiht der Dichter alltägliche Vorgänge aneinander, die jedoch eine tiefere Reflexion über die Vergänglichkeit des Lebens offenbaren.
Anfangs schildert Ringelnatz die natürliche Abfolge: Die Zeit vergeht, das Gras verwelkt, doch aus dem gewöhnlichen Ablauf entsteht etwas Neues – die Milch. Diese positive Wendung wird jedoch rasch wieder ins Gegenteil verkehrt, als die Milch verdirbt und so aufzeigt, dass auch das scheinbar Frische und Wertvolle dem Verfall unterliegt.
Besonders markant ist der Einschub „Die Wahrheit schweigt“, der einen ernsten, philosophischen Unterton einführt. Hier deutet Ringelnatz an, dass im Lauf der Zeit nicht nur das Materielle vergeht, sondern auch moralische Konstanten wie die Wahrheit zunehmend verstummen oder untergehen.
Am Ende stirbt die Kuhmagd, ein Sinnbild für das einfache, harte Leben, und ein Geiger spielt dazu – eine poetische Metapher für die Unaufhaltsamkeit des Lebenslaufs und die melancholische Schönheit, die selbst im Ende liegt. Trotz der schlichten Form entfaltet „Liedchen“ so eine leise, traurige und zugleich kunstvoll verdichtete Meditation über Vergänglichkeit und Tod.
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