Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , ,

Fußball

Von

Der Fußballwahn ist eine Krank-
heit, aber selten, Gott sei Dank!
Ich kenne wen, der litt akut
an Fußballwahn und Fußballwut.
Sowie er einen Gegenstand
in Kugelform und ähnlich fand,
so trat er zu und stieß mit Kraft
ihn in die bunte Nachbarschaft.
Ob es ein Schwalbennest, ein Tiegel,
ein Käse, Globus oder Igel,
ein Krug, ein Schmuckwerk am Altar,
ein Kegelball, ein Kissen war,
und wem der Gegenstand gehörte,
das war etwas, was ihn nicht störte.
Bald trieb er eine Schweineblase,
bald steife Hüte durch die Straße.
Dann wieder mit geübtem Schwung
stieß er den Fuß in Pferdedung.
Mit Schwamm und Seife trieb er Sport.
Die Lampenkuppel brach sofort.
Das Nachtgeschirr flog zielbewusst
der Tante Berta an die Brust.
Kein Abwehrmittel wollte nützen,
nicht Stacheldraht in Stiefelspitzen,
noch Puffer, außen angebracht.
Er siegte immer, 0 zu 8,
und übte weiter frisch, fromm, frei
mit Totenkopf und Straußenei.
Erschreckt durch seine wilden Stöße,
gab man ihm nie Kartoffelklöße.
Selbst vor dem Podex und den Brüsten
der Frau ergriff ihn ein Gelüsten,
was er jedoch als Mann von Stand
aus Höflichkeit meist überwand.
Dagegen gab ein Schwartenmagen
dem Fleischer Anlass zum Verklagen.
Was beim Gemüsemarkt geschah,
kommt einer Schlacht bei Leipzig nah.
Da schwirrten Äpfel, Apfelsinen
durch Publikum wie wilde Bienen.
Da sah man Blutorangen, Zwetschen
an blassen Wangen sich zerquetschen.
Das Eigelb überzog die Leiber,
ein Fischkorb platzte zwischen Weiber.
Kartoffeln spritzten und Zitronen.
Man duckte sich vor den Melonen.
Dem Krautkopf folgten Kürbisschüsse.
Dann donnerten die Kokosnüsse.
Genug! Als alles dies getan,
griff unser Held zum Größenwahn.
Schon schäkernd mit der U-Boots-Mine,
besann er sich auf die Lawine.
Doch als pompöser Fußballstößer
Fand er die Erde noch viel größer.
Er rang mit mancherlei Problemen.
Zunächst: Wie soll man Anlauf nehmen?
Dann schiffte er von dem Balkon
sich ein in einen Luftballon.
Und blieb von da an in der Luft,
verschollen. Hat sich selbst verpufft. –
Ich warne euch, ihr Brüder Jahns,
vor dem Gebrauch des Fußballwahns!

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Fußball von Joachim Ringelnatz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Fußball“ von Joachim Ringelnatz beschreibt auf humoristische und groteske Weise die Übersteigerung der Fußballbegeisterung bis hin zum völligen Wahnsinn. Der Erzähler schildert eine Person, die von einem krankhaften Fußballwahn erfasst wird und jede runde oder kugelartige Form automatisch als Ballersatz behandelt. Das Gedicht entfaltet dabei eine immer rasantere Kette von absurden Situationen, die den zunehmenden Kontrollverlust des Betroffenen illustrieren.

Ringelnatz nutzt eine rhythmisch beschwingte Sprache und eine Vielzahl anschaulicher, überzeichneter Bilder, um die Eskalation darzustellen: Vom harmlosen Treten eines Globus oder Käses steigert sich das Verhalten bis zur Zerstörung von Haushaltsgegenständen und Marktszenen, die in ein regelrechtes Chaos münden. Diese Übertreibung verdeutlicht nicht nur die Komik der Situation, sondern zugleich eine satirische Kritik an unreflektiertem Fanatismus und Maßlosigkeit.

Besonders auffällig ist Ringelnatz’ Einsatz von Aufzählungen und steigernden Beschreibungen, die eine fast filmische Dynamik erzeugen. Der Übergang von alltäglichen Objekten zu immer skurrileren „Spielbällen“ wie Totenköpfen oder Straußeneiern sowie die finale Selbstaufhebung des Helden im Luftballon unterstreichen den völligen Realitätsverlust. Dabei bleibt der Ton des Gedichts stets verspielt und schelmisch, ohne ins Moralisierende abzudriften.

Am Ende spricht der Erzähler eine augenzwinkernde Warnung aus, indem er die Turnbewegung um Friedrich Ludwig Jahn anspricht und damit eine humorvolle Verbindung zwischen gesundem Sportideal und destruktivem Wahn herstellt. „Fußball“ ist somit eine witzige, zugleich aber auch kluge Persiflage auf übertriebene Leidenschaften und eine Liebeserklärung an die anarchische Kraft der Fantasie. Möchtest du noch eine kurze Zusammenfassung der sprachlichen Stilmittel?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.