Ein Nagel saß in einem Stück Holz
Ein Nagel saß in einem Stück Holz
Der war auf seine Gattin sehr stolz.
Die trug eine goldene Haube,
und war eine Messingschraube.
Sie war etwas locker und etwas verschraubt,
sowohl in der Liebe, als auch überhaubt.
Sie liebte ein Häkchen und traf sich mit ihm.
In einem Astloch, sie wurden intim.
Kurz, eines Tages entfernte sie sich,
und ließ den armen Nagel im Stich.
Der arme Nagel bog sich vor Schmerz,
Noch niemals hatte sein eisernes Herz
so bittere Leiden gekostet.
Bald war er beinahe verrostet.
Da aber kehrte sein früheres Glück,
Die alte Schraube wieder zurück.
Sie glänzte über das ganze Gesicht,
ja, alte Liebe rostet nicht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ein Nagel saß in einem Stück Holz“ von Joachim Ringelnatz erzählt in humorvoller und zugleich anspielungsreicher Weise die Geschichte einer Beziehung zwischen einem Nagel und einer Messingschraube. Durch die Vermenschlichung dieser Gegenstände schafft der Dichter eine skurrile, aber dennoch nachvollziehbare Liebesgeschichte, die viele Aspekte zwischenmenschlicher Beziehungen ironisch spiegelt.
Der Nagel ist stolz auf seine Gattin, die durch ihre „goldene Haube“ hervorgehoben wird – ein Hinweis auf äußerlichen Glanz oder gesellschaftlichen Status. Die Schraube hingegen wird als „etwas locker und etwas verschraubt“ beschrieben, eine doppeldeutige Formulierung, die sowohl auf ihre physische Beschaffenheit als auch auf ihre unkonventionelle, unbeständige Persönlichkeit anspielt. Ihr Seitensprung mit einem Häkchen in einem Astloch wird ebenfalls mit Witz erzählt, enthält aber auch eine gewisse Tragik für den treuen Nagel, der daraufhin vor Kummer beinahe verrostet – ein Bild für emotionalen Verfall.
Die Reimstruktur und der einfache, fast kindlich anmutende Sprachstil stehen im Kontrast zur emotionalen Tiefe der Geschichte, was den typisch ringelnatzschen Humor ausmacht. Der Schmerz des Nagels wird durch die körperliche Metapher des „Verrostens“ veranschaulicht, was sein Leid greifbar und gleichzeitig absurd komisch macht.
Am Ende kommt es zur Versöhnung: Die Schraube kehrt zurück und bringt das frühere Glück mit sich. Die abschließende Zeile „ja, alte Liebe rostet nicht“ spielt auf das bekannte Sprichwort an, verdreht es jedoch augenzwinkernd – denn der Nagel, aus Eisen, ist im Gegensatz zur Schraube tatsächlich vom Rosten bedroht. Ringelnatz gelingt es, mit einfachen Mitteln eine tiefsinnige, ironisch gebrochene Reflexion über Treue, Verletzung und die Kraft alter Bindungen zu zeichnen – in der Sprache des Alltags, aber mit viel poetischem Feingefühl.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.