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Stadt

Von

Wie schön ist diese stolze Stadt der Gierde!
Ihr Elend und geschmähter Überfluss
Und schwerer Straßen sehr verzerrte Zierde.

Schamloser Tag entdeckt dir die Konturen.
Die Häuser stehn befleckt mit Staub und Ruß,
Es flirrt um Eilende und Wagenhaufen
Furchtsame Weiber, Männer, blasse Huren …

Ich starre lange in die schnelle Pracht
Ein Dumpfes ahnend drunten im Gedränge –
Ich weiß, wie sie des blöden Tages Strenge
Gewaltig preisen: dass er herrschen macht.

(Es zieht sie nur zur wohlumbauten Enge.)

Komm! Lass uns warten auf die kranke Nacht
Der schweren dröhnenden Gedankenpränge.

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Gedicht: Stadt von Jakob van Hoddis

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Stadt“ von Jakob van Hoddis beschreibt eine düstere, entfremdete Sicht auf das urbane Leben, in der die Stadt nicht als Ort des Fortschritts und der Freude, sondern als ein Symbol von Gier, Elend und moralischer Verfallenheit erscheint. Die „stolze Stadt der Gierde“ wird mit einem bitteren Ton beschrieben, der sowohl die oberflächliche Pracht als auch das zugrunde liegende Elend in den Vordergrund stellt. Der „geschmähte Überfluss“ deutet auf die Entwertung von Wohlstand hin – er erscheint weniger als ein Zeichen von Erfolg, sondern eher als eine Quelle von Verdorbenheit und Korruption. Die „schweren Straßen“ und die „verzerrte Zierde“ sind Metaphern für die Entstellung der Stadt und ihres wahren Charakters, der hinter einer Fassade von Schönheit und Fortschritt verborgen bleibt.

Der „schamlose Tag“, der „die Konturen entdeckt“, und die Häuser, „befleckt mit Staub und Ruß“, vermitteln das Bild einer Stadt, die vom industriellen Fortschritt geprägt ist, dabei aber ihre Authentizität und ihre Schönheit verloren hat. Die Luft ist von der Hektik des urbanen Lebens und der Verschmutzung erfüllt, was sich auch in den „eilenden Wagenhaufen“ und den „furchtsamen Weiberen, Männern, blassen Huren“ widerspiegelt. Die Menschen sind entkoppelt von einer echten Lebensfreude und scheinen in einer endlosen Spirale von Angst, Not und oberflächlichem Streben gefangen. Die Stadt, so wie sie dargestellt wird, ist ein Ort der Entfremdung, an dem der Mensch nur eine kleine Figur im getriebenen Alltag ist.

Das lyrische Ich blickt auf diese „schnelle Pracht“ und spürt ein „dummes Ahnend“ im Gedränge. Es wird eine innere Leere und eine Ahnung von etwas Dunklem spürbar, das unter der glänzenden Oberfläche der Stadt lauert. Der „blöde Tag“ wird als eine alles beherrschende, unangenehme Macht beschrieben, die den Menschen in den Griff bekommt. Die Menschen „preisen“ diese Macht, weil sie sie als unvermeidlich akzeptieren und sich an die „Strenge“ des Lebens anpassen. Hier wird die Entfremdung der Menschen von sich selbst und von der Welt um sie herum thematisiert, die trotz ihres Leidens der Ordnung und dem Zwängen des Alltags unterliegen.

Im letzten Teil des Gedichts wird die „kranke Nacht“ als eine Art Flucht vor dem „dröhnenden“ und erdrückenden Tag dargestellt. Die Nacht symbolisiert eine Art Ruhe oder zumindest eine Pause von der Hektik des Lebens, die aber auch mit „schweren, dröhnenden Gedankenprängen“ verbunden ist. Diese Gedanken, die schwer und krank erscheinen, deuten darauf hin, dass der Mensch im Zustand der Entfremdung auch in der Nacht keinen Frieden finden kann. Die Stadt ist ein Ort der Überforderung und der Entfremdung, an dem der Mensch, sowohl im Licht des Tages als auch in der Dunkelheit der Nacht, keine wirkliche Ruhe oder Erlösung findet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.