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Morgens

Von

Ein starker Wind sprang empor.
Öffnet des eisernen Himmels blutende Tore.
Schlägt an die Türme.
Hellklingend laut geschmeidig über die eherne Ebene der Stadt.
Die Morgensonne rußig. Auf Dämmen donnern Züge.
Durch Wolken pflügen goldne Engelpflüge.
Starker Wind über der bleichen Stadt.
Dampfer und Kräne erwachen am schmutzig fließenden Strom.
Verdrossen klopfen die Glocken am verwitterten Dom.
Viele Weiber siehst du und Mädchen zur Arbeit gehn.
Im bleichen Licht. Wild von der Nacht. Ihre Röcke wehn.
Glieder zur Liebe geschaffen.
Hin zur Maschine und mürrischem Mühn.
Sieh in das zärtliche Licht.
In der Bäume zärtliches Grün.
Horch! Die Spatzen schrein.
Und draußen auf wilderen Feldern
Singen Lerchen.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Morgens von Jakob van Hoddis

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Morgens“ von Jakob van Hoddis zeichnet das Bild eines urbanen Morgens, der von einem starken Wind und der erwachenden Industrie geprägt ist. Die ersten Zeilen setzen den Ton mit der Vorstellung eines „starken Windes“, der die „blutenden Tore“ des „eisernen Himmels“ öffnet, was eine karge, fast apokalyptische Atmosphäre erzeugt. Der Wind, der „an die Türme schlägt“, und die „eherne Ebene der Stadt“ verdeutlichen eine industrialisierte, kalte Welt, die von Maschinen und der entfremdeten Bewegung der Stadtbevölkerung beherrscht wird. Das Bild eines „blutenden Himmels“ könnte dabei auf das Aufeinandertreffen von Natur und der Kraft der menschlichen Zivilisation hinweisen, die in gewisser Weise die natürliche Ordnung zerstört.

Die „Morgensonne“ wird als „rußig“ beschrieben, was den industriellen Charakter der Stadtwelt weiter betont. Diese Sonne, die eigentlich einen Neuanfang symbolisieren sollte, ist in diesem Kontext ein trübes, schmutziges Bild, das das Gedicht von einer düsteren Weltanschauung durchzieht. Die „Züge“, die „durch Wolken pflügen“, und die „dampfer und Kräne“, die am „schmutzig fließenden Strom“ erwachen, verstärken das Bild einer Stadt, die von der industriellen Revolution geprägt und von Maschinen und Fabriken dominiert wird.

Doch inmitten dieser grauen, mechanisierten Welt kommen menschliche Figuren ins Spiel. Die „Weiber“ und „Mädchen“, die zur Arbeit gehen, werden als Teil des alltäglichen Lebens dargestellt, das von der „bleichen“ Sonne und der unaufhörlichen, mechanischen Arbeit bestimmt ist. Ihre „Röcke wehn“, und ihre „Glieder“ sind „zur Liebe geschaffen“, doch sie bewegen sich „hin zur Maschine“ – eine scharfe Kritik an der Entfremdung der Arbeit und der Unterdrückung des natürlichen Bedürfnisses nach Leben und Liebe. Diese Szene zeigt eine Gesellschaft, die von der Arbeit und dem wirtschaftlichen Zwang dominiert wird, wodurch die individuelle Freiheit und Freude am Leben unterdrückt werden.

Trotz der Düsternis, die die Stadt und die Arbeitswelt durchzieht, gibt es in den letzten Versen eine Art Hoffnung und Verbindung zur Natur. Das „zärtliche Licht“ und das „zärtliche Grün“ der Bäume bringen einen Kontrast zur rauen, mechanisierten Welt der Stadt. Die „Spatzen“, die „schreien“, und die „Lerchen“, die „singen“, fügen dem Bild eine Dimension von Lebendigkeit und natürlicher Freiheit hinzu, die in der Industrialisierung und der Entfremdung der Menschen zu verschwinden droht. Das Gedicht endet also mit einem leisen Aufruf zur Rückkehr zur Natur und zur Zärtlichkeit, die inmitten der kalten, hektischen Welt der Maschinen und Arbeit dennoch existiert.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.