Legende
In Indien – sagt man – weint der Mond Kristalle,
Den schattenloser schwerer Traum umwand.
Und wer des Mondes Träne drunten fand,
Der geht gefeit vor Tod und jähem Falle.
Nun mag die Pest der Völker Leiber fretzen
Und Hunger sie auf Wegen müde hetzen.
Er aber quert die Nacht und die Gewimmer,
In Händen haltend nie versiegten Schimmer.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Legende“ von Jakob van Hoddis schildert eine mystische und symbolische Erzählung, die die transzendente Macht des Mondes und die Kraft einer besonderen „Träne“ thematisiert. Die Eröffnung mit der Vorstellung des Mondes, der „Kristalle weint“, taucht den Leser sofort in eine Welt des Fantastischen und des Geheimnisvollen. Der Mond, ein klassisches Symbol für das Licht in der Dunkelheit und für die Zeit der Nacht, wird hier mit einer emotionalen Qualität versehen – seine Tränen sind nicht nur das Bild eines natürlichen Phänomens, sondern sie tragen eine tiefere Bedeutung und Macht. Der „schattenlose, schwere Traum“ verweist auf die Idee eines mystischen, erdrückenden Zustands, der mit der Träne des Mondes verknüpft ist.
Das Bild der „Mondträne“ wird als ein Schutzgegenstand dargestellt, der demjenigen, der sie findet, besondere Fähigkeiten verleiht. Diese „Träne“, die der Mond weint, wird mit der Fähigkeit verbunden, vor „Tod und jähem Falle“ gefeit zu sein. Hier wird der Mond als eine Art übernatürliche Quelle der Rettung und der Unverletzbarkeit eingeführt – der Finder der Träne ist von den Bedrohungen des Lebens, wie dem Tod oder dem Unglück, befreit. Es ist ein symbolischer Akt der Erlösung, der sowohl von der Natur als auch von einer überirdischen Kraft vermittelt wird.
In der zweiten Strophe wird das Bild der furchtbaren Welt um den Finder der Mondträne gezeichnet: Die „Pest der Völker“ und der „Hunger“, die „Leiber fretzen“ und die Menschen „müde hetzen“, stellen das Leid und die Not der Welt dar. Diese Darstellungen sind nicht nur ein Bild für den körperlichen Verfall, sondern auch für das moralische und spirituelle Elend, das die Menschheit zu ertragen hat. Doch der Finder der Mondträne bleibt unversehrt – er „quert die Nacht“ und „die Gewimmer“, während er in seinen Händen den „nie versiegten Schimmer“ trägt. Der „nie versiegte Schimmer“ könnte als Symbol für Hoffnung, Leben und Erleuchtung verstanden werden, die ihm durch die Mondträne verliehen werden und ihn inmitten von Leid und Dunkelheit weiterführen.
Das Gedicht vermittelt damit eine tiefe, symbolische Aussage über den menschlichen Wunsch nach Erlösung und die Vorstellung von einem übernatürlichen Schutz, der über die irdischen Sorgen und Gefahren hinausgeht. Es lässt den Leser über den Mythos des Mondes nachdenken, der sowohl für das Leben als auch für den Tod steht, und darüber, wie dieser symbolische „Schimmer“ demjenigen, der ihn besitzt, eine außergewöhnliche Kraft verleiht, um das Dunkel der Welt zu überstehen.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.