Andante
Aufblühen Papierwiesen
Leuchtend und grün,
Da stehen drei Kühe
Und singen kühn:
„O Wälder, o Wolken,
O farbige Winde,
Wir werden gemolken
Geschwinde, geschwinde,..
In goldene Eimer
Fließt unser Saft.
In farbige Reimer
Ergießt unsere Kraft.
Wir stehen hier, im Chor beisammen,
Auf knotigem Beine
Und die Kräfte der Erde sind
Angesammelt zu frohem Vereine.“
Sie bocken bei Tag und sie trillern bei Nacht.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Andante“ von Jakob van Hoddis ist ein spielerisch-absurdes und zugleich satirisches Werk, das durch seine surreale Bildsprache auffällt. Die „Papierwiesen“ in der ersten Zeile schaffen sofort eine künstliche, fast märchenhafte Szenerie: Es handelt sich nicht um reale Natur, sondern um eine artifizielle Welt, die „leuchtend und grün“ nur auf dem Papier blüht. In dieser Kulisse stehen drei Kühe, die ungewöhnlicherweise „kühn“ singen – ein Verfremdungseffekt, der die Tiere zu Akteuren einer ironischen Hymne macht.
In ihrem Lied preisen die Kühe pathetisch Naturbilder wie „Wälder“ und „Wolken“, doch die Idylle wird rasch gebrochen: „Wir werden gemolken / Geschwinde, geschwinde“. Die Vermischung von Naturromantik und Nutzbarmachung der Tiere wird hier humorvoll ins Groteske gezogen. Die „goldenen Eimer“ und „farbigen Reimer“ verstärken die Künstlichkeit und den märchenhaften Tonfall, gleichzeitig klingen Konsum und Verwertung in einer fast übertrieben feierlichen Sprache an.
Im dritten Versabschnitt wird der Chor der Kühe fast zu einer Parodie auf bäuerlich-heroische Naturlyrik. Die Kühe „im Chor beisammen“ stehen „auf knotigem Beine“ und wirken wie karikierte Naturwesen, die die „Kräfte der Erde“ bündeln – nicht zur Erneuerung der Natur, sondern zur Gewinnung von Milch und Nutzbarkeit.
Der letzte Vers „Sie bocken bei Tag und sie trillern bei Nacht“ rundet die skurrile Szene ab: Die Kühe bleiben in ihrem absurden Verhalten gefangen, tagsüber störrisch und nachts weiterhin grotesk singend. „Andante“ ist damit eine ironisch-humorvolle Auseinandersetzung mit Naturbildern und ihrer Verklärung, die von Hoddis mit sprachlicher Verspieltheit und absurder Phantasie in eine surreale Richtung gelenkt wird.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.