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An meinen Vater

Von

In wärmeren Gegenden näher der Sonne
Am Ufer des vielentscheidenden Rheins,
Umschwärmt von aller Thorheit und Wonne
Leichterer Sitten, und feurigen Weins,
Denk ich in die beschneiten Gefilde
Ach! der Einfalt und der Ruh
Mich zurück – da winkest du
Sehnsuchtsvoll mir, Vater! zu.
Ich seh’s und wein‘ und knie vor dem Bilde –
Aber ach der schweiffende Wilde
Fliehet neuen Thorheiten zu.
Als aller Schicksaals-Ahndungen voll
Dein Flügel sorgsam über mir schwebte,
Ich unter deinen Fittigen strebte
Nach unbekannten Weh und Wohl:
Erinnerst du dich da – wohl mir! wenn diese Scene
Mein Lied dir ins Gedächtniß bringt –
Erinnerst du dich noch des Glücklichsten der Söhne
Als du von Kindern und Freunden umringt
Ihm, schon geweiht zur langen Reise
In Tarwasts Haynen ein Blümgen brachst
Und feyerlich mit Propheten-Weise
Die unvergeßlichen Worte sprachst:
Mein Sohn, komm ich dir aus dem Gesicht,
Auch in der Ferne – vergiß mein nicht!
Laß mich das erstemal in meinem Leben
Dir dein Geschenk itzt wiedergeben.

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Gedicht: An meinen Vater von Jakob Michael Reinhold Lenz

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „An meinen Vater“ von Jakob Michael Reinhold Lenz drückt eine tiefgreifende Sehnsucht und eine Reflexion über das eigene Leben und die Beziehung zum Vater aus. Der Sprecher befindet sich in einer fremden, wärmeren Gegend und fühlt sich von den Freuden und Vergnügungen der „leichten Sitten“ und des „feurigen Weins“ umgeben, doch in seinem Inneren wächst der Wunsch nach einer Rückkehr zu den einfacheren, ruhigeren Zeiten, die er in der Nähe seines Vaters kannte. Die Erinnerung an den Vater, der ihm in der Vergangenheit Schutz und Führung gab, ruft eine Mischung aus Trauer und Sehnsucht hervor.

Der „schweifende Wilde“, der sich immer wieder von neuen „Thorheiten“ verlocken lässt, könnte als Metapher für den ungestümen Drang des lyrischen Ichs nach Freiheit und Abenteuer verstanden werden. Doch trotz dieser äußeren Verlockungen bleibt der Blick immer wieder auf die erinnerte Weisheit des Vaters gerichtet. Die „Schicksaals-Ahnungen“, die der Vater sorgsam überwachte, und das Gefühl, unter seinem schützenden „Flügel“ nach „unbekannten Weh und Wohl“ zu streben, reflektieren die Zerrissenheit zwischen dem Drang nach Unabhängigkeit und der Sehnsucht nach der Geborgenheit des Elternhauses.

In der zweiten Hälfte des Gedichts wird die Erinnerung an einen konkreten Moment wach, in dem der Vater ihm auf einer Reise mit „Propheten-Weise“ rät, ihn nicht zu vergessen, auch wenn er sich in der Ferne aufhält. Diese Worte und die Szene, in der der Vater ihm ein „Blümgen“ bricht, symbolisieren die Liebe, die Weisheit und die Fürsorge des Vaters. Es wird ein Moment des Übergangs und der emotionalen Bindung dargestellt, der die enge Verbindung zwischen Vater und Sohn inmitten von Abschied und Veränderung betont.

Die Bitte des lyrischen Ichs, das „Geschenk“ des Vaters nun „wiederzugeben“, könnte darauf hinweisen, dass es im Angesicht von Herausforderungen und schwierigen Zeiten den Rat und die Fürsorge des Vaters verinnerlicht hat. Es ist eine Rückkehr zu den Wurzeln und eine Anerkennung des Einflusses, den der Vater auf das Leben und die Entscheidungen des Sprechers hatte. Trotz aller Entfernung und der Verlockung von Freiheit und Abenteuern bleibt der Vater als unvergessliche, zentrale Figur im Leben des lyrischen Ichs.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.