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Jahrmarkt

Von

Sinds die Häuser, sinds die Gassen?
Ach, ich weiß nicht wo ich bin!
Hab ein Liebchen hier gelassen,
Und manch Jahr ging seitdem hin.

Aus den Fenstern schöne Frauen
Sehn mir freundlich ins Gesicht,
Keine kann so frischlich schauen,
Als mein liebes Liebchen sicht.

An dem Hause poch ich bange –
Doch die Fenster stehen leer,
Ausgezogen ist sie lange,
Und es kennt mich keiner mehr.

Und ringsum ein Rufen, Handeln,
Schmucke Waren, bunter Schein,
Herrn und Damen gehn und wandeln
Zwischendurch in bunten Reihn.

Zierlich Bücken, freundlich Blicken,
Manches flüchtge Liebeswort,
Händedrücken, heimlich Nicken –
Nimmt sie all der Strom mit fort.

Und mein Liebchen sah ich eben
Traurig in dem lustgen Schwarm,
Und ein schöner Herr daneben
Führt′ sie stolz und ernst am Arm.

Doch verblaßt war Mund und Wange,
Und gebrochen war ihr Blick,
Seltsam schaut′ sie stumm und lange,
Lange noch auf mich zurück. –

Und es endet Tag und Scherzen,
Durch die Gassen pfeift der Wind –
Keiner weiß, wie unsre Herzen
Tief von Schmerz zerrissen sind.

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Gedicht: Jahrmarkt von Joseph von Eichendorff

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Jahrmarkt“ von Joseph von Eichendorff beschreibt die melancholische Erfahrung eines lyrischen Ichs, das auf einem Jahrmarkt nach seiner verlorenen Liebe sucht und sie schließlich unter tragischen Umständen wiederfindet. Die Szenerie des Jahrmarktes dient als Kulisse für eine Reise durch Erinnerung, Verlust und die Erkenntnis der Vergänglichkeit von Liebe und Jugend. Die fragmentierte Natur der Verse, die wechselnden Szenen und die flüchtigen Eindrücke spiegeln das Verwirrspiel der Gefühle und die Desorientierung des Ichs wider.

Die ersten Strophen etablieren ein Gefühl der Entfremdung und des Verlusts. Das lyrische Ich, scheinbar aus der Zeit gefallen, findet sich auf einem Jahrmarkt wieder, einem Ort des Lebens und der Freude, doch seine Gedanken sind in der Vergangenheit gefangen. Die Zeilen „Hab ein Liebchen hier gelassen, / Und manch Jahr ging seitdem hin“ deuten auf eine lange Trennung und die Unmöglichkeit, die verlorene Liebe in der gleichen Form wiederzufinden. Der Wechsel von der Erinnerung an das „Liebchen“ zu der realen, aber fremden Umgebung des Jahrmarktes erzeugt eine Spannung zwischen der Idealvorstellung der Liebe und der rauen Realität.

Die Mitte des Gedichts zeigt eine entscheidende Wendung, als das lyrische Ich seine Geliebte inmitten des bunten Treibens entdeckt. Die Beschreibung ihres Zustands – „Doch verblaßt war Mund und Wange, / Und gebrochen war ihr Blick“ – offenbart eine tiefe Traurigkeit und den Verlust ihrer früheren Lebendigkeit. Die Begegnung wird von dem Gefühl des Schmerzes, der Ernüchterung und der Enttäuschung geprägt. Der „schöne Herr“, der sie am Arm führt, symbolisiert die Veränderung und das Vergehen der Zeit.

Der abschließende Teil des Gedichts fasst die gesammelten Eindrücke zusammen und verstärkt die melancholische Stimmung. Das Ende des Tages und die Stille des Windes in den Gassen unterstreichen die Einsamkeit und das Leid des lyrischen Ichs. Die letzte Strophe mit den Zeilen „Keiner weiß, wie unsre Herzen / Tief von Schmerz zerrissen sind“ betont die Unverständlichkeit des eigenen Schmerzes für die Außenwelt. Es ist ein Gedicht über die Vergänglichkeit, die verlorene Liebe und die Einsamkeit, das von einer tiefen Sehnsucht und einem Gefühl des Verlustes geprägt ist.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.