Ich lebe mein Leben…
Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,
die sich über die Dinge ziehen.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.
Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Ich lebe mein Leben…“ von Rainer Maria Rilke ist eine tiefgründige Reflexion über das menschliche Dasein und die Suche nach Sinn und Vollendung. Es zeichnet sich durch eine Metaphorik aus, die das Leben als einen Prozess des ständigen Wachsens und der Annäherung an ein letztendliches Ziel darstellt, das vielleicht nie ganz erreicht wird. Die „wachsenden Ringen“, in denen der Sprecher sein Leben erlebt, symbolisieren die Entwicklung, die Erfahrung und die fortwährende Auseinandersetzung mit der Welt und letztendlich mit dem Göttlichen.
Der zweite Teil des Gedichts konzentriert sich auf die Beziehung zu Gott, dargestellt als „uralten Turm“. Hier wird die Metapher des Kreisens eingeführt, ein Bild der ewigen Bewegung und der unaufhörlichen Suche. Die Zeilen „Ich kreise um Gott, um den uralten Turm, / und ich kreise jahrtausendelang“ unterstreichen die Unendlichkeit dieser Suche, die über die individuelle Lebensspanne hinausreicht und die Sehnsucht nach Erkenntnis und Verständnis des Göttlichen symbolisiert. Rilke thematisiert hier die existenziellen Fragen nach der eigenen Identität und der Rolle des Menschen im Universum.
Der Schlussvers „und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm / oder ein großer Gesang“ bringt die Unsicherheit und das Mysterium der menschlichen Existenz zum Ausdruck. Die drei gewählten Bilder – Falke, Sturm und Gesang – stehen für unterschiedliche Aspekte des Seins: Der Falke repräsentiert möglicherweise die Klarheit und das Streben nach Erkenntnis, der Sturm die ungestüme Kraft und die Zerstörung, und der Gesang die Schönheit, Harmonie und die Erfüllung. Die Frage, ob er eines oder alles ist, verweist auf die Komplexität des Lebens und die Vielschichtigkeit der menschlichen Identität.
Das Gedicht ist ein Bekenntnis zum unaufhörlichen Streben und zur Akzeptanz der Unvollkommenheit. Es ermutigt dazu, den Weg der Suche weiterzugehen, auch wenn das endgültige Ziel möglicherweise unerreichbar bleibt. Rilkes Werk betont die Bedeutung des Prozesses, des Wachstums und der fortwährenden Auseinandersetzung mit den grossen Fragen des Lebens, der Spiritualität und der eigenen Identität. Die kraftvolle und bildreiche Sprache macht das Gedicht zu einem bleibenden Zeugnis menschlicher Sehnsucht und Hoffnung.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.