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Ein Traum von großer Magie

Von

Viel königlicher als ein Perlenband
Und kühn wie junges Meer im Morgenduft.
So war ein großer Traum – wie ich ihn fand.

Durch offene Glastüren ging die Luft.
Ich schlief im Pavillon zu ebner Erde,
Und durch vier offne Türen ging die Luft –

Und früher liefen schon geschirrte Pferde
Hindurch und Hunde eine ganze Schar
An meinem Bett vorbei. Doch die Gebärde

Des Magiers – des Ersten, Großen – war
Auf einmal zwischen mir und einer Wand:
Sein stolzes Nicken, königliches Haar.

Und hinter ihm nicht Mauer: es entstand
Ein weiter Prunk von Abgrund, dunklem Meer
Und grünen Matten hinter seiner Hand.

Er bückte sich und zog das Tiefe her.
Er bückte sich, und seine Finger gingen
Im Boden so, als ob es Wasser wär.

Vom dünnen Quellenwasser aber fingen
Sich riesige Opale in den Händen
Und fielen tönend wieder ab in Ringen.

Dann warf er sich mit leichtem Schwung der Lenden
Wie nur aus Stolz – der nächsten Klippe zu;
An ihm sah ich die Macht der Schwere enden.

In seinen Augen aber war die Ruh
Von schlafend- doch lebendgen Edelsteinen.
Er setzte sich und sprach ein solches Du

Zu Tagen, die uns ganz vergangen scheinen,
Dass sie herkamen trauervoll und groß:
Das freute ihn zu lachen und zu weinen.

Er fühlte traumhaft aller Menschen Los,
So wie er seine eignen Glieder fühlte.
Ihn war nichts nah und fern, nichts klein und groß.

Und wie tief unten sich die Erde kühlte,
Das Dunkel aus den Tiefen aufwärts drang,
Die Nacht das Laue aus den Wipfeln wühlte,

Genoss er allen Lebens großen Gang
So sehr – dass er in großer Trunkenheit
So wie ein Löwe über Klippen sprang.

– – –

Cherub und hoher Herr ist unser Geist –
Wohnt nicht in uns, und in die obern Sterne
Setzt er den Stuhl und lässt uns viel verwaist:

Doch Er ist Feuer uns im tiefsten Kerne
– So ahnte mir, da ich den Traum da fand –
Und redet mit den Feuern jener Ferne

Und lebt in mir wie ich in meiner Hand.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Ein Traum von großer Magie von Hugo von Hofmannsthal

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Traum von großer Magie“ von Hugo von Hofmannsthal ist ein visionäres, tief symbolisches Werk, das eine Traumbegegnung mit einem übernatürlichen, magischen Wesen schildert. In vielschichtiger, bildreicher Sprache erschafft Hofmannsthal ein mystisches Erlebnis, das zwischen Traum, Offenbarung und metaphysischer Erkenntnis oszilliert. Der Text entfaltet sich wie eine Traumvision, in der die Grenzen zwischen Ich und Welt, zwischen Innen und Außen, aufgehoben sind.

Eingebettet in eine ruhige, fast arkadische Szenerie – ein Pavillon mit offenen Glastüren, durch die Luft und Tiere streichen – tritt der „Magier“ in Erscheinung. Er ist die zentrale Gestalt des Gedichts, eine Projektionsfläche für Macht, Weisheit und transzendente Verbindung. In ihm vereinen sich Königlichkeit und Natürlichkeit, Spiritualität und Körperlichkeit. Sein Auftreten verändert die Wahrnehmung des Raumes: Statt einer Wand erscheint ein „weiter Prunk von Abgrund, dunklem Meer / Und grünen Matten“ – das Bild einer kosmischen Weite, die sich durch ihn eröffnet.

Der Magier agiert mit souveräner Geste, greift in die Erde wie in Wasser, lässt „riesige Opale“ entstehen, die „tönend“ zurückfallen – diese Bilder verbinden Elemente der Alchemie, der Magie und der Schöpfung. Er überschreitet mühelos die Gesetze der Schwere, springt wie ein Löwe über Klippen, ist eins mit Natur und Elementen. Zugleich ist er tief verbunden mit dem menschlichen Dasein: Er spricht zu vergangenen Tagen, ruft Erinnerungen herbei und fühlt das Los aller Menschen, als wäre es sein eigener Körper. In ihm wird Individualität zum universellen Bewusstsein.

Die letzte Strophe trennt den eigentlichen Traum von einer poetisch-philosophischen Reflexion. Der „Geist“ wird als „Cherub und hoher Herr“ bezeichnet – eine überirdische Instanz, die zwar nicht im Ich wohnt, aber in ihm brennt. Der Geist ist transzendent und zugleich tief im Inneren des Menschen verankert. Diese ambivalente Beziehung zwischen dem göttlich Überirdischen und dem innerlich Erlebten ist zentral für das Gedicht: Der Traum offenbart, dass im Menschen eine größere, geistige Kraft wirkt, die jenseits des alltäglichen Bewusstseins steht, aber in Momenten der Schau erfahrbar wird.

„Ein Traum von großer Magie“ ist damit eine poetische Seelenreise – eine symbolische Initiation in das Mysterium des Daseins und der Verbundenheit aller Dinge. Die Sprache ist reich an Klang, Rhythmus und Bildern, durchsetzt von mystischer Tiefe. Hofmannsthal gelingt hier eine außergewöhnliche Darstellung des poetischen Erlebens als Begegnung mit einer höheren Wirklichkeit, in der Traum und Erkenntnis, Körper und Geist, Endliches und Unendliches miteinander verschmelzen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.