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Mittag

Von

Rings alles still – wohin man horcht und späht,
Im schatt’gen Walde, wie auf lichter Flur;
Nicht einmal eines einz’gen Vogels Laut,
Kein Blattgesäusel, keines Hauches Wehn,
Denn die Natur hält ihren Odem an.

Weißglühend senkt die Sonne scheitelrecht
Ihr Strahlenmeer herab aufs stille All,
Und kein Gewölk am ganzen Horizont
Erspäht der Blick, nur eine weiße Flocke
Hängt leuchtend dort, ganz einsam, wie verloren,
Ganz regungslos im glühenden Azur.

„Es schlummert Pan“, so redeten sie einst.
„Seid stille, stört den Geist des Waldes nicht.“
Nun aber ist er tot, der alte Pan.
Und mit ihm sind gestorben der Dryaden
wie der Najaden gütige Gestalten,
Die schützend tief im Walde Wohnenden,
In grüner, quelldurchrauschter Einsamkeit –
Dahin die ganze alte schöne Welt.

Du aber, Mensch, befolge noch das Wort;
Sei still in wunderbarer Mittagszeit,
Daß du den Traum des Waldes nimmer störst
Durch wüsten Lärm, und laß die Arbeit ruhen
Und ruhe selbst und träume. Es ist süß,
Ganz aufzugehen in das große Schweigen
Und eins zu werden mit der Natur.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Mittag von Hermann Allmers

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mittag“ von Hermann Allmers beschreibt eine tief empfundene Naturerfahrung zur Mittagszeit und verknüpft diese mit einer melancholischen Reflexion über den Verlust mythischer Weltbilder. Im Zentrum steht die völlige Stille der Natur, die fast ehrfürchtig beschrieben wird – als hielte die Natur selbst „ihren Odem an“. Die Szenerie wirkt beinahe überirdisch ruhig, die Hitze der Mittagssonne drückt schwer auf das „stille All“, und selbst ein einzelnes Wölkchen scheint regungslos im leuchtenden Himmel zu verharren.

Diese fast unheimliche Stille wird im zweiten Teil des Gedichts mit der antiken Götterwelt verknüpft. Der Gott Pan, ein Symbol für das geheimnisvolle, beseelte Wesen der Natur, sei „tot“, ebenso wie die Dryaden und Najaden – mythische Gestalten, die in früheren Zeiten als personifizierte Naturkräfte verehrt wurden. Damit beklagt der Sprecher nicht nur den Verlust alter Glaubensformen, sondern auch das Schwinden einer tieferen Verbindung zwischen Mensch und Natur, einer Welt, in der der Wald noch als beseelt galt.

Gleichzeitig appelliert das Gedicht an den modernen Menschen, in der Mittagsstille innezuhalten und sich dieser alten, heiligen Ruhe wieder bewusst zu werden. Die Aufforderung „Sei still“ ist mehr als nur ein Appell zur Ruhe – sie ist eine Einladung zur Einkehr, zur Harmonie mit der Natur, zur kontemplativen Selbstvergessenheit. In einer Welt, die von Lärm und Arbeit geprägt ist, erscheint diese „wunderbare Mittagszeit“ wie ein heiliger Moment, in dem das Individuum sich wieder als Teil des Ganzen erleben kann.

So wird „Mittag“ bei Allmers zum Symbol für eine spirituelle Erfahrung: In der Hitze und Stille offenbart sich nicht nur das Wesen der Natur, sondern auch die Möglichkeit, sich mit ihr zu verbinden – nicht mehr durch alte Mythen, sondern durch die stille, achtsame Gegenwart. Das Gedicht bewegt sich dabei zwischen elegischer Rückschau und hoffnungsvoller Empfehlung, im Schweigen neue Tiefe zu finden.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.