Herbstgefühl
Mürrisch braust der Eichenwald,
Aller Himmel ist umzogen,
Und dem Wandrer, rauh und kalt,
Kommt der Herbstwind nachgeflogen.
Wie der Wind zu Herbsteszeit
Mordend hinsaust in den Wäldern,
Weht mir die Vergangenheit
Von des Glückes Stoppelfeldern.
An den Bäumen, welk und matt,
Schwebt des Laubes letzte Neige,
Niedertaumelt Blatt auf Blatt
Und verhüllt die Waldessteige;
Immer dichter fällt es, will
mir den Reisepfad verderben,
Daß ich lieber halte still,
Gleich am Orte hier zu sterben.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Herbstgefühl“ von Nikolaus Lenau beschreibt in einer melancholischen Weise die Stimmung, die der Autor im Herbst empfindet. Es beginnt mit einer Beschreibung der äußeren Natur, die durch den stürmischen Wald und den umzogenen Himmel eine düstere und unwirtliche Atmosphäre erzeugt. Der „mürrisch brausende Eichenwald“ und der „rauh und kalte“ Wind schaffen ein Gefühl der Isolation und des Unbehagens, das sich auf den Wanderer überträgt, der stellvertretend für den Autor steht. Die Naturbilder werden somit zu Spiegelbildern der inneren Gefühlswelt, die von Trauer und Schwermut geprägt ist.
Im zweiten Abschnitt verknüpft Lenau die herbstliche Natur mit der Vergangenheit. Der Wind, der im Herbst „mordend“ durch die Wälder saust, wird mit der Erinnerung an das vergangene Glück assoziiert. Das Bild der „Stoppelfelder“ deutet auf abgeerntete Felder hin, die nun leer und verlassen daliegen. Diese Metapher unterstreicht das Gefühl des Verlusts und der Vergänglichkeit, das mit dem Herbst verbunden ist. Die Erinnerung an vergangenes Glück wird als etwas erlebt, das bereits vergangen ist und nicht mehr erreicht werden kann.
Die dritte Strophe intensiviert das Gefühl der Melancholie und der Hoffnungslosigkeit. Das fallende Laub, das die „Waldessteige“ verhüllt, symbolisiert das Ende und den Verfall. Die Natur ist nicht nur düster, sondern auch undurchdringlich, was die Orientierungslosigkeit und die Isolation des Wanderers verstärkt. Das „immer dichter fallende“ Laub wirkt wie eine Barriere, die den Weg versperrt und die Bewegung unmöglich macht.
Im letzten Vers kulminiert diese Stimmung in dem Wunsch, „lieber halte still, / Gleich am Orte hier zu sterben.“ Der Wanderer, überwältigt von der Melancholie und der Vergänglichkeit, zieht sich zurück und kapituliert vor der Hoffnungslosigkeit. Das Gedicht endet somit in einer resignativen Haltung, die die tiefe Trauer und den Schmerz des lyrischen Ichs offenbart. Die Natur wird zur Projektionsfläche für die inneren Dämonen, und der Herbst wird zur Metapher für das Ende und den Tod.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.