Logo der Website, Schriftzug "Poesie Oase" mit Palmen umrandet.
, , , , , , , , , , , , ,

Vorspiel

Von

(zu
Neue Bilder
)

Gern spiel‘ ich diesem neuen Bilderbuche
wie meinem ersten Versmusik voraus,
acht Takte nur, dass ich es gleich versuche!
Ihr Reime schwirrt heran in Saus und Braus,
und hinter noch geschlossnem Vorhangtuche
ergötzt ein hoffentlich besetztes Haus.
Nur seid recht rein! Denn dieses ist vonnöten.
Wie speist man gut bei Geigenklang und Flöten!

Ein andres ist’s, die Speisen zu bereiten,
ein zweites, wie man sie geschickt serviert.
Man muss den Leser sanft ins Buch geleiten,
denn selbst der Klügste sieht sich gern hofiert.
Man lockt sehr leicht bis zu den letzten Seiten,
wenn man die Eingangspforte hübsch verziert.
Und Bücher lassen sich wie Blumen lieben
um ihren Duft, der lang zurückgeblieben.

So lasst euch still vor diese Bilder führen,
und seht sie euch gut an, sie werden Blut!
Ihr mögt voll Mitgefühl sie wohl berühren,
wie es der Steinmetz mit dem Marmor tut,
den Wurzeln ihres Wesens nachzuspüren
fehlt es an Geist viel seltner als an Mut,
und wenige können zu der Menschen Schwächen
dem Himmel gleich ein Ja und Amen sprechen.

Ich habe leider, dies ist schwer zu fassen,
den harten Satz zu oft als wahr erkannt,
dass Biographen ihre Helden hassen,
in deren Schatten sie sich matt gerannt,
und weit von ihrem Flug zurückgelassen,
zerpflücken sie ihr Bild mit kalter Hand.
Der größte Genius hat seine Grenzen,
die unsrer Ehrfurcht wert ins Ganze glänzen.

Nichts Größres als der Mensch lässt sich verehren,
wir leihen seine Züge ja selbst Gott,
und dieser Glaube lässt sich nicht entbehren,
wir würden allesamt uns denn zum Spott.
Dies eine soll man unsre Kinder lehren:
„Es ist der Mensch allein sich selber Gott.“
So wird ihr schönes erdenfrohes Leben
im freien Dienst um edle Geister schweben.

Drum hab‘ ich diese Bilder ausgehauen,
dass man im Großen Kleines liebgewinnt.
Das ärmste Leben lässt sich würdig bauen,
wenn man nicht niedrig und nicht feig gesinnt.
Nicht Sonntags nur soll man zur Höhe schauen
und alles hassen, was uns leer zerrinnt.
Ich predige den Guten wie den Schlechten,
nur einer Sorte Menschen nicht, den Knechten.

So tretet ein beim Dröhnen meiner Bässe,
und lasst’s euch wohl sein bei dem Leichenschmaus!
Nur äußerlich ist dieser Toten Blässe,
liebt sie, und gleich sehn sie lebendig aus.
Sie zogen freilich längst durch schroffe Pässe
auf steilen Zickzackwegen still nach Haus.
Doch zwischen Tod und sobenanntem Leben
sehn wir in einem fort die Fäden weben.

Der Vorhang rauscht, stets muss ich dabei zittern,
und leiste treten meine Toten vor,
aus Aschenurnen oder Grabesgittern.
Sie atmen, sprechen, seufzen uns ins Ohr,
und heben sich gleich ruhmumstrahlten Rittern
hoch aus dem unbeklagten grauen Chor.
Empfangt sie stehend und mit allen Ehren!
Der Geist kann nur im Geist sich neugebären.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Vorspiel von Herbert Eulenberg

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Vorspiel“ von Herbert Eulenberg dient als poetische Einleitung zu einer Sammlung von Bildern oder Geschichten und reflektiert zugleich über die Kunst des Schreibens, das Wesen der Literatur und die Rolle des Menschen im kreativen Schaffen. In einer musikalischen Metapher vergleicht das lyrische Ich seine Worte mit einer Ouvertüre, die das Publikum auf das Kommende einstimmt. Es betont die Bedeutung eines gelungenen Einstiegs, der den Leser fesseln soll, ähnlich einer wohlkomponierten Melodie oder einer einladend gedeckten Tafel.

Besonders zentral ist das Verhältnis zwischen Künstler und Publikum. Der Leser wird sanft „ins Buch geleitet“, denn auch große Werke müssen zugänglich gemacht werden. Die Kunst wird dabei als etwas Lebendiges beschrieben – sie „wird Blut“, wenn man sich ihr mit Einfühlungsvermögen nähert. Dabei hebt das lyrische Ich die Notwendigkeit hervor, die Essenz eines Werkes zu ergründen, statt es nur oberflächlich zu betrachten oder gar zu zerpflücken, wie es etwa kritische Biografen tun, die die Schatten großer Persönlichkeiten analysieren, ohne ihre Größe zu würdigen.

Im philosophischen Kern des Gedichts steht der Mensch als höchstes verehrungswürdiges Wesen. In einer fast religionskritischen Wendung heißt es: „Es ist der Mensch allein sich selber Gott.“ Dies verweist auf eine humanistische Weltsicht, in der der Mensch durch sein eigenes Schaffen Bedeutung erlangt. Diese Idee wird weitergeführt in der Aufforderung, das Leben bewusst und würdevoll zu gestalten, unabhängig von äußeren Bedingungen oder gesellschaftlichen Zwängen.

In der letzten Strophe entfaltet sich schließlich die zentrale Inszenierung: Die Vergangenheit lebt in der Kunst fort. Verstorbene Gestalten treten aus „Aschenurnen“ und „Grabesgittern“ hervor, ihre Geschichten bleiben lebendig und sprechen zu uns. Die Kunst hat die Kraft, Erinnerungen und Ideen wiederzubeleben, und so mahnt das lyrische Ich das Publikum, diese Gestalten mit Respekt und Ehrerbietung zu empfangen. Das Gedicht endet mit einer starken Aussage über den Geist, der nur im Geist neu geboren werden kann – ein Plädoyer für die Unsterblichkeit künstlerischen Schaffens.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.