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XXIII.   Ich hôrte ûf der heide

Von

I

Ich hôrte ûf der heide
lûte stimme und süezen sanc.
dâ von wart ich beide
vröiden rîch und an trûren kranc.
Nâch der mîn
gedanc
sêre
ranc
unde swanc,
die vant ich ze tanze, dâ si sanc.
âne leide ich dô spranc.

II

Ich vant sî verborgen
eine und ir wengel von trehen naz,
dâ si an dem morgen
mînes tôdes sich vermaz.
Der vil lieben haz tuot mir baz danne daz,
dô ich vor ir kniewete, dâ si saz
und ir
sorgen
gar vergaz.

III

Ich vant si an der zinne
eine, und ich was zuo zir gesant.
dâ mehte ichs ir minne
wol mit vuoge hân gepfant.
Dô wânde ich diu lant hân verbrant sâ zehant,
wan daz mich ir süezen minne bant
an den
sinnen
hât erblant.

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Gedicht: XXIII.   Ich hôrte ûf der heide von Heinrich von Morungen

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ich hôrte ûf der heide“ von Heinrich von Morungen beschreibt in drei Gesängen die komplexe und leidvolle Natur der Liebe aus der Perspektive eines lyrischen Ichs, das sich von der schönen, aber auch schmerzhaften Erfahrung der Liebe überwältigt fühlt. Der erste Teil des Gedichts entfaltet eine fast traumhafte Szene, in der der Sprecher auf der Heide eine liebliche Stimme hört und den Klang eines süßen Gesangs vernimmt. Diese Musik bringt ihm sowohl Freude als auch tiefe Traurigkeit. Die Mischung aus „fröiden rîch“ (reich an Freude) und „trûren kranc“ (krank vor Kummer) verdeutlicht, wie der Sänger von widersprüchlichen Gefühlen geprägt ist.

Im zweiten Teil wird das Bild einer Frau eingeführt, deren „wengel von trehen naz“ (Wangen von tränendem Nass) und ihre Verbindung zu seinem „Tode“ die tiefe Trauer und den Schmerz widerspiegeln, den die Liebe mit sich bringt. Hier wird der Sprecher von seinem eigenen Leid übermannt, das durch die Wehmut und Enttäuschung, die er in der Begegnung mit der Frau empfindet, noch verstärkt wird. Die Szene, in der er sich vor ihr niederwirft und ihr „Haz“ (Hass) erträgt, zeigt das leidvolle Aufeinandertreffen von Liebe und Schmerz und lässt eine zerrissene, unglückliche Liebe erkennen, die mehr Leiden als Glück hervorbringt.

Der dritte Teil beschreibt eine weitere Begegnung, diesmal auf einer Zinne (Mauer) oder einem hohen Ort, wo der Sprecher glaubt, seine Liebe in einer idealisierten, fast unnahbaren Form zu erleben. Hier denkt er, dass er mit „vuoge hân gepfant“ (mit Vögeln gefangen) seine Liebe vollständig besitzt. Doch die Vorstellung, die er sich von der Liebe gemacht hat, wird von einer unbestimmten Gefahr begleitet – er befürchtet, dass der Ort, den er sich als romantischen Raum vorstellt, durch die Zuneigung zerstört wird, was seine inneren Konflikte zwischen Verlangen und Furcht widerspiegelt.

Insgesamt beschreibt das Gedicht eine leidvolle, unruhige Erfahrung der Liebe, die sowohl ekstatische Freude als auch tiefe Traurigkeit und Verzweiflung mit sich bringt. Heinrich von Morungen nutzt die Natur und das Bild von Gesang und Tanz als Metaphern für den Fluss der Emotionen, wobei die Zerrissenheit zwischen dem Wunsch nach Vereinigung und der Angst vor Verlust und Schmerz zentral bleibt.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.