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Mädchenrätsel

Von

Träumt er zur Erde, wen,
Sagt mir, wen meint er?
Schwillt ihm die Träne, was,
Götter, was weint er?
Bebt er, ihr Schwestern, was,
Redet, erschrickt ihn?
Jauchzt er, o Himmel, was
Ist’s, was beglückt ihn?

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Gedicht: Mädchenrätsel von Heinrich von Kleist

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Mädchenrätsel“ von Heinrich von Kleist ist eine kurze, rätselhafte Miniatur, die in Form einer Reihe von Fragen das seelische Innenleben eines Mannes aus der Sicht eines fragenden Mädchens zu ergründen sucht. Es kreist um die Undurchschaubarkeit männlicher Gefühle und stellt in poetisch verdichteter Form die Frage nach der Ursache von Emotionen – Liebe, Freude, Trauer, Erschütterung.

Das Gedicht besteht aus vier zweizeiligen Strophen, in denen jeweils ein Gefühl des Mannes geschildert wird: das Träumen, das Weinen, das Beben und das Jauchzen. Doch der Inhalt bleibt unklar – jede Strophe endet in einer offenen Frage: „wen meint er?“, „was weint er?“, „was erschrickt ihn?“, „was beglückt ihn?“. Diese Reihung erzeugt eine zunehmende Spannung, zugleich betont sie die Ahnungslosigkeit und Unsicherheit des lyrischen Ichs.

Der Sprecher – oder in diesem Fall wohl eher die Sprecherin – wendet sich hilfesuchend an verschiedene Adressaten: zuerst an sich selbst, dann an „Götter“, „Schwestern“ und schließlich an den „Himmel“. Diese Anrufungen geben dem Gedicht eine anrührende Naivität, fast kindliche Unschuld, aber auch eine tiefe Sehnsucht nach Verstehen.

Kleist gelingt mit wenigen Versen ein poetisches Porträt von Ungewissheit und emotionaler Ferne. Das Gedicht lässt sich als Ausdruck der Unerreichbarkeit des anderen deuten, als Spiegel weiblicher Unsicherheit angesichts männlicher Verschlossenheit oder innerer Rätselhaftigkeit. Dabei bleibt der Mann selbst passiv – nur durch seine emotionalen Reaktionen tritt er in Erscheinung.

„Mädchenrätsel“ ist in seiner Kürze bemerkenswert vielschichtig: Es thematisiert nicht nur das Geheimnis des Herzens, sondern auch die Unmöglichkeit, den anderen ganz zu erfassen. Es bleibt ein poetischer Ausdruck des Staunens, des Fragens – und des unaufgelösten Wunderns über die inneren Bewegungen des geliebten Menschen.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.