Verkehrte Welt
Das ist ja die verkehrte Welt,
Wir gehen auf den Köpfen!
Die Jäger werden dutzendweis
Erschossen von den Schnepfen.
Die Kälber braten jetzt den Koch,
Auf Menschen reiten die Gäule;
Für Lehrfreiheit und Rechte des Lichts
Kämpft die katholische Eule.
Der Häring wird ein Sanskülott,
Die Wahrheit sagt uns Bettine,
Und ein gestiefelter Kater bringt
Den Sophokles auf die Bühne.
Ein Affe lässt ein Pantheon
Erbauen für deutsche Helden.
Der Massmann hat sich jüngst gekämmt,
Wie deutsche Blätter melden.
Germanische Bären glauben nicht mehr,
Und werden Atheisten;
Jedoch die französischen Papagein,
Die werden gute Christen.
Im uckermärk’schen Moniteur
Hat man’s am tollsten getrieben:
Ein Todter hat dem Lebenden dort
Die schnödeste Grabschrift geschrieben.
Lasst uns nicht schwimmen gegen den Strom,
Ihr Brüder! Es hilft uns Wenig!
Lasst uns besteigen den Templower Berg
Und rufen: „Es lebe der König!“
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Verkehrte Welt“ von Heinrich Heine ist eine scharfsinnige und satirische Kritik an gesellschaftlichen und politischen Zuständen seiner Zeit. Heine bedient sich der literarischen Tradition der „verkehrten Welt“, um Missstände und Absurditäten ironisch zu entlarven. Bereits die erste Strophe deutet diese Umkehrung der Ordnung an: Nicht die Jäger schießen die Vögel, sondern die Schnepfen die Jäger – ein Bild für die auf den Kopf gestellten Verhältnisse.
In den folgenden Strophen reiht Heine zahlreiche Beispiele für diese Weltverdrehung aneinander. Kälber, die den Koch braten, Pferde, die auf Menschen reiten, und eine „katholische Eule“, die für Aufklärung kämpft, zeigen, wie moralische und gesellschaftliche Rollen vertauscht wurden. Heine spielt damit auf politische Entwicklungen an, etwa auf die Vereinnahmung von Freiheitsbegriffen durch reaktionäre Kräfte. Die ironische Nennung von Figuren wie Bettine (wahrscheinlich Bettina von Arnim) oder der „gestiefelte Kater“ in Verbindung mit Sophokles betont die Absurdität der Lage.
Auch Zeitgenossen und politische Strömungen nimmt Heine ins Visier: Der „Häring“ als „Sanskülott“ steht für das Umkippen der einfachen Leute in revolutionäre Bewegungen, während ein „Affe“ ein Pantheon für deutsche Helden errichtet – ein Seitenhieb auf den oft übertriebenen deutschen Nationalstolz und Heldenkult. Selbst die religiöse Verwirrung wird thematisiert: Bären werden Atheisten, französische Papageien „gute Christen“. Diese grotesken Bilder zeigen Heines tiefe Skepsis gegenüber den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen.
Am Ende schwingt eine resignative Ironie mit. Statt sich gegen die Absurditäten zu stellen („gegen den Strom schwimmen“), fordert das lyrische Ich mit spöttischem Unterton zur Anpassung auf – gipfelnd im Ruf „Es lebe der König!“, der die opportunistische Haltung der Zeit kritisiert. Heines „Verkehrte Welt“ ist ein bissiges satirisches Gedicht, das mit scharfer Beobachtung und sarkastischem Witz eine Kritik an der politischen und kulturellen Wirklichkeit seiner Zeit formuliert.
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Lizenz und Verwendung
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