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Morphine

Von

Groß ist die Ähnlichkeit der beiden schönen
Jünglingsgestalten, ob der eine gleich
Viel blässer als der andre, auch viel strenger,
Fast möcht‘ ich sagen viel vornehmer aussieht –
Als jener andre, welcher mich vertraulich
In seine Arme schloss – Wie lieblich sanft
War dann sein Lächeln und sein Blick wie selig!
Dann mocht‘ es wohl geschehn, dass seines Hauptes
Mohnblumenkranz auch meine Stirn berührte
Und seltsam duftend allen Schmerz verscheuchte
Aus meiner Seel – Doch solche Linderung,
Sie dauert kurze Zeit; genesen gänzlich
Kann ich nur dann, wenn seine Fackel senkt
Der andre Bruder, der so ernst und bleich. –
Gut ist der Schlaf, der Tod ist besser – freilich
Das beste wäre, nie geboren sein.

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Gedicht: Morphine von Heinrich Heine

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Morphine“ von Heinrich Heine setzt sich auf eindringliche Weise mit den Themen Schmerz, Betäubung und Tod auseinander. Im Zentrum stehen zwei symbolische Figuren: der Schlaf und der Tod, dargestellt als Brüder mit ähnlicher Erscheinung. Der Schlaf wird als sanfter, tröstlicher Jüngling beschrieben, der dem lyrischen Ich vorübergehende Linderung verschafft, indem er mit seinem „Mohnblumenkranz“ – eine Anspielung auf Schlafmohn und Morphium – den Schmerz vertreibt. Diese Szene deutet auf die verführerische Kraft des Schlafs oder auch der Droge hin, die temporär Trost bringt.

Der zweite Bruder hingegen, der Tod, wirkt „bleicher“ und „strenger“, zugleich „vornehmer“ und endgültiger. Das lyrische Ich erkennt, dass die tiefere, dauerhafte Heilung nur im Tod zu finden ist, da der Schlaf nur flüchtige Erleichterung bringt. Die Gegenüberstellung von Schlaf und Tod als Brüder erinnert an antike Motive und spiegelt die Auseinandersetzung mit existenziellen Fragen über das Leiden und die Sehnsucht nach Erlösung wider.

In den letzten Versen steigert sich die düstere Stimmung noch, als Heine das bekannte pessimistische Fazit zieht: „Gut ist der Schlaf, der Tod ist besser – freilich / Das beste wäre, nie geboren sein.“ Dieser Schluss greift einen Gedanken aus der antiken Tragödie und Philosophie auf und verleiht dem Gedicht eine nihilistische Tiefe. Es klingt die Resignation an, dass selbst der Tod nur eine „bessere“ Lösung im Angesicht des Leidens ist, die eigentliche Erlösung aber in der Vermeidung der Geburt selbst gelegen hätte.

Heines „Morphine“ verbindet so romantische Bildsprache mit einer existenziellen Verzweiflung und verweist auf die menschliche Suche nach einem Ausweg aus Schmerz und Vergänglichkeit – sei es im Trost des Schlafes oder in der Endgültigkeit des Todes.

Weitere Informationen

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Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.