Geistige Landschaft
Wenn nachtgangs nun dich gütig Mond begleitet,
Der Himmel sich für dich mit Sternen schmückt
Und dich der dünne Nebelrauch entzückt,
Ein silbrig Netz aufs Ährenfeld gebreitet,
Ist es umsonst, dass dich mein Lied geleitet:
Dem Duft der Gärten bist du so entrückt
Und siehst von Regenbögen überbrückt
Dein Sehnsuchtsland in langem Traum bereitet.
Ein Trunkner, dem Berauschtsein widerstreitet,
Bleib ich zum Wunderbrunnen tief gebückt –
Sternspiegel, dessen Zauber mich erdrückt! –
Forschend und formend, lust- und qualzerstückt,
Nur hoffend Herz und gülden übersaitet
Von deinem Glück, das mir nie ganz geglückt.
Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Geistige Landschaft“ von Hans Schiebelhuth entfaltet eine melancholische, traumverhangene Szenerie, in der sich Naturbild, Sehnsucht und unerfüllte Liebe zu einer inneren Landschaft verweben. Der Titel verweist bereits darauf, dass es sich weniger um eine reale als um eine seelische oder imaginative Welt handelt – eine Projektion des lyrischen Ichs, in der äußere Eindrücke innere Zustände spiegeln.
Die erste Strophe beschreibt eine nächtliche, fast magisch überhöhte Natur: Der Mond erscheint als gütiger Begleiter, der Himmel zeigt sich in festlicher Pracht, und der Nebel legt sich wie ein „silbrig Netz“ über die Felder. Diese Bilder evozieren eine stille Schönheit, jedoch auch eine gewisse Entrückung. Die Landschaft ist nicht greifbar, sondern durch ihre Zartheit und Künstlichkeit entrückt – wie ein Trugbild oder ein Traum.
In der zweiten Strophe wird die emotionale Distanz zur geliebten Person deutlich. Das lyrische Ich konstatiert, dass sein „Lied“ die Geliebte nicht mehr erreicht, da sie der Welt der Gärten – als Symbol der irdischen, sinnlichen Nähe – „entrückt“ ist. Stattdessen lebt sie in einem „Sehnsuchtsland“, das von Regenbögen überspannt wird, also in einer idealisierten, unerreichbaren Vorstellung. Diese Ferne ist weniger geografisch als emotional und geistig: Die Geliebte hat sich einem anderen Bereich zugewendet, einem Reich der Träume und Visionen, das dem Sprecher verschlossen bleibt.
Die Schlusszeilen kreisen um das Spannungsfeld zwischen Inspiration und Schmerz. Das lyrische Ich wird als ein „Trunkner“ beschrieben, der sich gegen das eigene „Berauschtsein“ wehrt – eine Ambivalenz zwischen ekstatischer Bewunderung und niederschmetternder Erkenntnis. Das Bild des „Wunderbrunnens“, der zugleich fasziniert und erdrückt, steht sinnbildlich für die Kraft der Imagination, der sich das Ich nicht entziehen kann. Trotz aller „Forschung“ und „Formung“ – also kreativer Bemühung – bleibt das Glück unerreichbar, bleibt der Herzenswunsch unvollständig.
„Geistige Landschaft“ ist somit ein Gedicht über die schöpferische Kraft der Sehnsucht, aber auch über ihre Unerfüllbarkeit. Die poetisch verdichteten Naturbilder und die symbolische Aufladung der Landschaft lassen eine Stimmung entstehen, die zwischen Schönheit, Verlust und resignierter Hoffnung schwankt. Die Liebe wird nicht als erfülltes Verhältnis geschildert, sondern als ästhetische und emotionale Quelle, aus der das lyrische Ich gleichermaßen Kraft und Qual zieht.
Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.
Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.