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Frohvogel

Von

Mein Frohvogel war mir entflogen,
Gar traurig schien da die Welt.
Erst dacht‘ ich, er hat nur verzogen
Und kommt wieder, sobalds ihm gefällt.
Doch war und blieb er verschwunden;
So lief ich zum Zeitverleih
Und borgte mir zehntausend Stunden,
Ihn suchen, wo er auch sei.
Ich fragte bei allen Leuten…
Meine Nachbarn spaßten recht nett
Und sagten, wie sehr sie sich freuten,
Dass ich keinen Vogel mehr hätt.
Zwar taten, als ob sie was wüssten,
Wenn ich forschte, Kind und Gesind…
Und spielten und herzten und küssten
Und vergaßen geschwind.
Auf dem Hohhaus der Hoffnung den alten
Türmer, von Kind auf mir gut,
Besucht ich, ich fand ihn behalten;
Er tröstete, machte mir Mut.
Er sprach: „Sieh die Sonne! Scheint trüber
Das große, allgütige Licht?
Lug aus und lug um und lug über!
Augendumm bist du ja nicht.“
Er sprach: „Sieh die Wolken, die Schauben,
Zart hinzieh’nd, gewischt übers Blau!
Du sollst wandern wie sie. Und musst glauben,
Wer sucht, wird finden! Vertrau!“
So zog ich heiß hoffend und wandt mich
Ins Weite. Doch keine Spur
Von meinem Entflogenen fand ich,
Ach, auch nicht ein Federchen nur.
Ich fahndete all übers Feld,
Ich beschwor die schwebenden Saaten,
Maß das Wriesengras um Vermeld, –
Sie konnten mir nichts verraten.
Ich stellte das Vieh. Es käute
Und säugte und stellte sich dumm;
Ward gewittert vom Rudel; es scheute
Der Leithirsch jähäugend herum.
Auf Auen oft hielt mich ein Flüstern,
Ein Rascheln, ein Haschen des Lichts.
Ein Säuseln nur wars in den Rüstern,
Ein Geleucht in den Pappeln; sonst nichts.
Verkehrt wohl wars, Vögel zu fragen
Nach meines Frohvogels Versteck;
Es stecken die Vögel und jagen
Unterm Himmel als einer Deck.
So klag‘ ich den Winden, den blinden,
Bat die sehenden Stern um Bescheid;
Doch Wind weiß sich stets zu entwinden,
Und was strahlt, versteht ja kein Leid.
Zu den Wassern am Strom und am Borne
Ging ich und flehte schlicht,
Sie murmelten fort das Verworrne…
Antwort wars nicht.
Im Wald an verwunschenen Teichen,
Wo die Suhlsau grunzend mich floh,
Lauscht‘ ich den Eiben und Eichen…
Sie rauschten nur so.
Ich kroch in Höhlen und Schlüfte,
Wo im Goldmoos der Glückspilz wächst,
Seltsam zwar klangen die Lüfte,
Die Schlangen bespien mich verhext.
Auf die höchsten Gipfel gestiegen
Bin ich, wo’s ewig schneit.
Und ich schrie. Doch die Firne schwiegen,
Vereist von der Einsamkeit.
O ich lernte die Mühsal im Reisen,
Kannte steiniger Straßen Beschwer,
Die Angst im Nachtwald, den heißen
Mittag im Feld ohne Zehr,
Die Bängnis vorm Blitz und den Regen
Auf grauser Heide allein,
Erschöpfung auf endlosen Wegen,
Und Schlaf auf dem Kissen aus Stein.
Es jährte sich bald, dass ich suchte
Den Frohvogel meiner Not,
Unwirsch zog ich heim und ich fluchte,
Wünscht‘ ihm und mir selber den Tod.
In der alten Stadt, wo ich wohnte,
Kehrt‘ ich trübe zu meinem Tun;
Schlecht gings, nichts launte und lohnte;
Sehnsucht ließ mich nicht ruhn,
Denn mein Frohvogel war mir entflogen
Und zur Kummerkammer bestellt,
Vom Keller zum First verbogen,
Herzverlogen schien mir die Welt.
Ich stieg auf den Turm; klagte leise
Dem Freund. – „Hast du einmal bedacht,
Mein Guter“, fragt‘ er (o weise!),
„Was den Vogel zum Frohvogel macht?
Geh heut nacht hinaus zu den Schlehen,
Du kennst dort die Hecken am Wald,
Hasch dir einen Singhahn, wirst sehen,
Frohvogel bei dir wird er bald.“
Mein Vogel zwar war, wie verschwunden,
So zugeflogen einst frei
Drum dünkt‘ mich, dass fehlbefunden
Der Rat des Erfahrenen sei,
Denn froh wie der Freizügling könne
Ein gefangener Vogel nie sein,
Doch glaubte ich wohl, er vergönne
Mir Trost in der Pein.
So, gleichviel wissend, es stimme
Weder jenes rechtens, noch dies,
Schlich spät ich, im Herzen das Schlimme,
Aufs Feld, wie der Alte mich hieß.
Da schlief unter klingenden Sternen
Friedlich das Land und schön;
Aus blauen unendlichen Fernen
Zog der Mond auf über die Höhn;
Am Flursaum grasten die Rehe,
Vom Waldrand rauschte die Nacht;
Es säuselte leis in der Schlehe,
Der Wind im Grase lief sacht.
An der Hecke stand ich und säumte,
Nicht tat ich, was ich vermeint,
Ich warf mich ins Gras und träumte,
Und auf einmal hab ich geweint.
Und dann wusst ich, ich müsse mich schlichten,
Verzichten, einfach und frei
Und mutig mein Leben richten,
Gleichviel wo der Frohvogel sei.
Als der Tag mit den Wachteln erwachte,
Ging ich getröstet nach Haus,
Da saß mein Frohvogel und lachte –
Wahrhaftig! – er lachte mich aus.

Gedicht als Bild, zum Downloaden und Teilen

Gedicht: Frohvogel von Hans Schiebelhuth

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Frohvogel“ von Hans Schiebelhuth ist eine poetische Parabel über den Verlust und die Wiedergewinnung innerer Lebensfreude. In Form einer märchenhaften, fast episch erzählten Suche nach dem „Frohvogel“ entfaltet der Text ein vielschichtiges Sinnbild für das, was in der Sprache des Alltags vielleicht Glück, Zuversicht oder Seelenruhe heißt. Der „Frohvogel“ steht dabei nicht für ein reales Wesen, sondern für ein inneres Gefühl des Glücks, das dem Sprecher abhandengekommen ist.

Der Verlust dieses Vogels wird zum Ausgangspunkt einer langen, beschwerlichen Suche. Das lyrische Ich wendet sich an Menschen, Tiere, die Natur, ja selbst an kosmische Mächte wie Wind, Sterne und Wasser, um Hinweise zu bekommen – vergeblich. In dieser Sinnsuche spiegelt sich eine existenzielle Verlorenheit wider, die in eindringlichen Naturbildern Ausdruck findet: der leergeräumte Himmel, das stumme Gebirge, die verzauberten Wälder. Die Welt erscheint dem Sprecher zunehmend fremd, gleichgültig oder gar feindlich, was in der zunehmenden Erschöpfung und Verzweiflung der Figur kulminiert.

Besonders prägnant ist der Kontrast zwischen der äußeren Bewegung – der rastlosen Suche – und der inneren Unbewegtheit. Trotz aller Wege findet das lyrische Ich keine Spur des Frohvogels. Erst durch die Rückkehr, die Einkehr und letztlich durch einen Akt des Loslassens, eine stille nächtliche Selbstbesinnung in der Natur, kommt es zu einer entscheidenden Wendung. Das Weinen im Gras, ausgelöst durch das Lauschen auf die nächtliche Welt, markiert einen Moment der inneren Öffnung und Wahrheit. In diesem Verzicht auf das krampfhafte Suchen liegt letztlich die Voraussetzung für das Wiederfinden der Freude.

Die Pointe des Gedichts – dass der Frohvogel bei der Heimkehr auf einen wartet und den Sprecher auslacht – enthält eine doppelte Ironie: Zum einen verspottet der Vogel die vergebliche Anstrengung, ihn außerhalb des Selbst zu suchen, zum anderen bestätigt er, dass das Glück oft dann zurückkehrt, wenn man es nicht mehr festzuhalten versucht. Die Lebensfreude, so legt das Gedicht nahe, ist kein Besitz, sondern ein Zustand des Einverständnisses mit der Welt und dem eigenen Dasein.

„Frohvogel“ ist ein reiches, vielschichtiges Gedicht, das trotz seiner verspielten Sprache eine tiefe, fast philosophische Dimension entfaltet. Es verbindet Volksmärchenhaftes mit existenzieller Tiefe, Naturbeobachtung mit psychologischer Einsicht und führt über die poetische Form zu einer tröstlichen, aber nicht naiven Erkenntnis: Dass man manchmal erst durch Verzicht, Akzeptanz und stilles Lauschen zu sich selbst – und damit zur Freude – zurückfindet.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.