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Ein Tischzucht

Von

Hör, Mensch! wenn du zu Tisch willt gahn,
dein Händ sollt du gewaschen han.
Lang Nägel ziemen gar nit wohl,
die man heimlich abschneiden soll.
Am Tisch setz dich nit oben an,
der Hausherr wölls dan selber han!
Der Benedeiung nit vergiß!
In Gottes Nam heb an und iß!
Den Ältesten anfahen laß!
Nach dem iß züchtiglichermaß!
Nit schnaufe oder säuisch schmatz!
Nit ungestüm nach dem Brot platz,
daß du kein Geschirr umstoßen tust!
Das Brot schneid nit an deiner Brust!

Nehm auch den Löffel nit zu voll!
Wenn du dich treifst, das steht nit wohl.
Greif auch nach keiner Speise mehr,
bis dir dein Mund sein worden leer!
Red nicht mit vollem Mund! Sei mäßig!
Sei in der Schüssel nit gefräßig,
der allerletzt drin ob dem Tisch!
Zerschneid das Fleisch und brich den Fisch
und käue mit verschlossem Mund!
Schlag nit die Zung aus gleich eim Hund,
zu ekeln! Tu nit geizig schlinken!
Und wisch den Mund, eh du willt trinken,
daß du nit schmalzig machst den Wein!
Trink sittlich und nit hust darein!
Tu auch nit grölzen oder kreisten!
Schütt dich auch nit, halt dich am weisten!

Gezänk am Tisch gar übel staht.
Sag nichts, darob man Grauen hat,
und tu dich auch am Tisch nit schneuzen,
daß ander Leut an dir nit scheuzen!
Geh nit umzausen in der Nasen!
Des Zahnstührens sollt du dich maßen!
Im Kopf sollt du dich auch nit krauen!
Dergleichen Maid, Jungfrau und Frauen
solln nach keinem Floh hinunterfischen.
Ans Tischtuch soll sich niemand wischen.
Auch leg den Kopf nit in die Händ!
Leihn dich nit hinten an die Wänd,
bis daß des Mahl hab sein Ausgang!
Denn sag Gott heimlich Lob und Dank,
der dir dein Speise hat beschert,
aus väterlicher Hand ernährt!
Nach dem sollt du vom Tisch aufstehn,
dein Händ waschen und wieder gehn
an dein Gewerb und Arbeit schwer.
So spricht Hans Sachs, Schuhmacher.

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Gedicht: Ein Tischzucht von Hans Sachs

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Ein Tischzucht“ von Hans Sachs ist eine gereimte Sammlung von Benimmregeln für das Verhalten bei Tisch. In belehrendem, dabei aber auch lebendigem und anschaulichem Ton vermittelt Sachs eine Reihe von Geboten der Höflichkeit und Anstandsregeln, die für seine Zeit typisch waren.

Gleich zu Beginn stellt das Gedicht grundlegende Anforderungen an äußere Ordnung: gewaschene Hände, gepflegte Nägel und angemessenes Verhalten bei der Platzwahl am Tisch. Darauf folgen präzise Anweisungen für das Essen selbst: Man soll maßvoll sein, keine unhöflichen Geräusche machen, nicht gierig zugreifen und mit geschlossenem Mund kauen. Diese Regeln spiegeln die zentrale Bedeutung von Selbstbeherrschung und Rücksichtnahme wider.

Besonders deutlich ist, wie stark Körperlichkeit und Hygiene thematisiert werden. Schnäuzen, Nasenbohren, Zähneputzen oder sich Kratzen werden als grobe Verstöße gegen die Tischzucht gebrandmarkt. Solche Tätigkeiten erscheinen nicht nur als unästhetisch, sondern auch als Respektlosigkeit gegenüber den anderen Gästen. Ebenso wird Wert auf geziemendes Trinken, ruhiges Sitzen und das Vermeiden von Streit gelegt.

Am Schluss betont Sachs die religiöse Dimension des Essens: Das Mahl soll mit einem Dankgebet enden, und nach dem Essen soll man ohne Trägheit wieder an seine Arbeit zurückkehren. Damit ist die Tischzucht nicht nur eine Frage des äußeren Benehmens, sondern Teil eines umfassenden sittlichen Lebensentwurfs, in dem Frömmigkeit, Mäßigung und Fleiß zentrale Werte darstellen.

Möchtest du auch eine kurze Einschätzung, wie dieses Gedicht in den größeren Zusammenhang der Tugend- und Moraldichtung der Reformationszeit passt?

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.