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Die Schnitterin

Von

War einst ein Knecht, einer Witwe Sohn,
Der hatte sich schwer vergangen.
Da sprach sein Herr: „Du bekommst deinen Lohn,
Morgen musst du hangen.“

Als das seiner Mutter kund getan,
Auf die Erde fiel sie mit Schreien:
„O, lieber Herr Graf, und hört mich an,
Er ist der letzte von dreien.

Den ersten schluckte die schwarze See,
Seinen Vater schon musste sie haben,
Dem andern haben in Schonens Schnee
Eure schwedischen Feinde begraben.

Und lasst ihr mir den letzten nicht
Und hat er sich vergangen,
Lasst meines Alters Trost und Licht
Nicht schmählich am Galgen hangen!“

Die Sonne hell im Mittag stand,
Der Graf sass hoch zu Pferde,
Das jammernde Weib hielt sein Gewand
Und schrie vor ihm auf der Erde.

Da rief er: „Gut, eh die Sonne geht,
Kannst du drei Aecker mir schneiden,
Drei Aecker Gerste, dein Sohn besteht,
Den Tod soll er nicht leiden.“

So trieb er Spott, hart gelaunt,
Und ist seines Weges geritten.
Am Abend aber, der Strenge staunt,
Drei Äcker waren geschnitten.

Was stolz im Halm stand über Tag,
Sank hin, er musst es schon glauben.
Und dort, was war’s, was am Feldrain lag?
Sein Schimmel stieg mit Schnauben.

Drei Aecker Gerste, ums Abendrot,
Lagen in breiten Schwaden,
Daneben die Mutter, und die war tot.
So kam der Knecht zu Gnaden.

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Gedicht: Die Schnitterin von Gustav Falke

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Die Schnitterin“ von Gustav Falke erzählt eine tragische Geschichte von Schuld, Verzweiflung und Opferbereitschaft. Im Mittelpunkt steht eine Mutter, die um das Leben ihres letzten verbliebenen Sohnes fleht, nachdem dieser eine schwere Verfehlung begangen hat und zum Tod verurteilt wurde. Der Graf, unbarmherzig und spöttisch, gibt ihr eine scheinbar unmögliche Aufgabe: Drei Äcker Gerste müssen bis Sonnenuntergang geschnitten sein, damit ihr Sohn verschont bleibt.

Die dramatische Wende tritt am Abend ein, als die Felder tatsächlich geschnitten sind – doch nicht von gewöhnlicher Menschenhand. Die Mutter hat sich in ihrer Verzweiflung buchstäblich „zu Tode gearbeitet“, um ihren Sohn zu retten. Der Graf, der das Wunder erkennt, ist gezwungen, sein Wort zu halten, und gewährt dem Knecht Gnade. Die Mutter aber hat ihr Leben geopfert, um das ihres Kindes zu bewahren.

Falkes Ballade verbindet Elemente der Volkspoesie mit einer düsteren Morallehre. Die Mutter verkörpert grenzenlose Liebe und Aufopferung, während der Graf für kalte Macht und Ungerechtigkeit steht. Doch am Ende wird sein Hochmut durch ein Wunder gebrochen. Das Bild der geschnittenen Äcker und der toten Mutter verstärkt die düstere Symbolik des Schicksals: Das Leben fordert oft große Opfer, doch Liebe kann selbst über den Tod hinaus wirken.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.