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Sommernacht
Es wallt das Korn weit in die Runde
Und wie ein Meer dehnt es sich aus;
Doch liegt auf seinem stillen Grunde
Nicht Seegewürm noch andrer Graus;
Da träumen Blumen nur von Kränzen
Und trinken der Gestirne Schein.
O goldnes Meer, dein friedlich Glänzen
Saugt meine Seele gierig ein!
In meiner Heimat grünen Talen,
Da herrscht ein alter schöner Brauch:
Wann hell die Sommersterne strahlen,
Der Glühwurm schimmert durch den Strauch,
Dann geht ein Flüstern und ein Winken,
Das sich dem Ährenfelde naht,
Da geht ein nächtlich Silberblinken
Von Sicheln durch die goldne Saat.
Das sind die Bursche jung und wacker,
Die sammeln sich im Feld zuhauf
Und suchen den gereiften Acker
Der Witwe oder Waise auf,
Die keines Vaters, keiner Brüder
Und keines Knechtes Hilfe weiß –
Ihr schneiden sie den Segen nieder,
Die reinste Lust ziert ihren Fleiß.
Schon sind die Garben fest gebunden
Und rasch in einen Ring gebracht;
Wie lieblich flohn die kurzen Stunden,
Es war ein Spiel in kühler Nacht!
Nun wird geschwärmt und hell gesungen
Im Garbenkreis, bis Morgenluft
Die nimmermüden braunen Jungen
Zur eignen schweren Arbeit ruft.
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Kurze Interpretation des Gedichts
Das Gedicht „Sommernacht“ von Gottfried Keller ist eine poetische Hommage an Natur, Gemeinschaft und stille menschliche Güte. In harmonischen Bildern und fließender Sprache schildert Keller eine nächtliche Szene auf dem Kornfeld, die sich zu einem idealisierten Bild von ländlichem Leben, Nächstenliebe und Arbeit als Ausdruck innerer Freude verdichtet. Die Verbindung von Naturbetrachtung und sozialer Geste steht dabei im Zentrum.
Die erste Strophe eröffnet mit einem majestätischen Bild: Das Kornfeld wird mit einem „goldnen Meer“ verglichen, weit ausgedehnt und voller stiller Schönheit. Anders als das Meer birgt es keine Schrecken, sondern ist durchdrungen von Frieden und Licht. Blumen träumen, Sterne spiegeln sich darin – das Feld erscheint als ein Ort reiner, ruhiger Harmonie. Das lyrische Ich zeigt sich tief ergriffen vom Anblick, der zur seelischen Nahrung wird.
Im weiteren Verlauf lenkt Keller den Blick auf einen Brauch in seiner Heimat: In klaren Sommernächten, wenn Glühwürmchen leuchten und die Sterne hell stehen, machen sich junge Männer heimlich und freiwillig ans Werk. Ihr Ziel ist nicht Eigennutz, sondern tätige Hilfe für Bedürftige – für Witwen und Waisen, die keine männliche Unterstützung mehr haben. Diese Szene ist von leiser, uneitler Menschlichkeit geprägt und verweist auf eine ländliche Kultur, in der Hilfsbereitschaft als selbstverständlicher Teil des Lebens gilt.
Der nächtliche Schnitt des Korns geschieht in einer Atmosphäre fast magischer Stille. Die Arbeit ist ein „Spiel“, getragen von Freude und Verbundenheit. Die Garben sind rasch gebunden, und bevor der neue Tag anbricht, beginnt ein ausgelassenes Feiern – mit Gesang und Tanz im „Garbenkreis“. Doch noch vor Sonnenaufgang ruft die eigene Arbeit wieder, und die jungen Männer verschwinden in den Alltag.
„Sommernacht“ ist somit mehr als eine Naturidylle: Es ist ein poetisches Idealbild eines sozialen, sinnvollen Zusammenlebens. Keller verknüpft Natur und menschliches Handeln zu einer harmonischen Einheit. Die Landschaft wird nicht nur bewundert, sondern zum Schauplatz einer stillen, gemeinschaftlichen Ethik. Die Schönheit der Nacht spiegelt sich in der Schönheit der Geste – eine leise, aber kraftvolle Botschaft von Anstand, Solidarität und Freude an der Arbeit.
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Lizenz und Verwendung
Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.