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Der Narr des Grafen von Zimmern

Von

Was rollt so zierlich, klingt so lieb
Treppauf und -ab im Schloss?
Das ist des Grafen Zeitvertrieb
Und stündlicher Genoss:
Sein Narr, annoch ein halbes Kind
Und rosiges Gesellchen,
So leicht und luftig wie der Wind,
Und trägt den Kopf voll Schellchen.

Noch ohne Arg, wie ohne Bart,
An Possen reich genug,
Ist doch der Fant von guter Art
Und in der Torheit klug;
Und was vergecken und verdrehn
Die zappeligen Hände,
Gerät ihm oft wie aus Versehn
Zuletzt zum guten Ende.

Der Graf mit seinem Hofgesind
Weilt in der Burgkapell,
Da ist, wie schon das Amt beginnt,
Kein Ministrant zur Stell;
Rasch nimmt der Pfaff den Narrn beim Ohr
Und zieht ihn zum Altare;
Der Knabe sieht sich fleißig vor,
Dass er nach Bräuchen fahre.

Und gut, als wär er’s längst gewohnt,
Bedient er den Kaplan;
Doch wenn’s die Müh am besten lohnt,
Bricht oft der Unstern an:
Denn als die heilge Hostia
Vom Priester wird erhoben,
O Schreck! so ist kein Glöcklein da,
Den süßen Gott zu loben!

Ein Weilchen bleibt es totenstill;
Erbleichend lauscht der Graf,
Der gleich ein Unheil ahnen will,
Das ihn vom Himmel traf.
Doch schon hat sich der Narr bedacht,
Den Handel zu versöhnen:
Die Kappe schüttelt er mit Macht,
Dass alle Glöcklein tönen!

Da strahlt von dem Ciborium
Ein goldnes Leuchten aus;
Es glänzt und duftet um und um
Im kleinen Gotteshaus,
Wie wenn des Himmels Majestät
In frischen Veilchen läge:
Der Herr, der durch die Wandlung geht –
Er lächelt auf dem Wege!

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Gedicht: Der Narr des Grafen von Zimmern von Gottfried Keller

Kurze Interpretation des Gedichts

Das Gedicht „Der Narr des Grafen von Zimmern“ von Gottfried Keller erzählt eine humorvolle und zugleich tiefsinnige Begebenheit am Hofe, in der ein junger Narr – scheinbar naiv, aber innerlich klug – in einer ernsten, religiösen Situation ungewollt zum Retter wird. In kunstvoller Sprache entfaltet Keller ein poetisches Gleichnis über Unschuld, Spontaneität und göttliches Wohlwollen, das letztlich mehr zählt als äußere Ordnung oder liturgische Strenge.

Im Mittelpunkt steht der noch jugendliche Hofnarr des Grafen, der mit seiner verspielten, harmlosen Art das Leben auf der Burg erheitert. Trotz seiner kindlichen Erscheinung und der typischen Rolle als Spaßmacher, besitzt er eine innere Klarheit und Gewandtheit, die sich in kritischen Momenten zeigt. Keller zeichnet ihn als eine Figur, die zwischen Torheit und Weisheit steht – ein bekanntes Motiv der Literatur, in der der Narr oft mehr erkennt als der Weise.

Als in der Kapelle ein Ministrant fehlt, wird der Narr kurzerhand dazu bestimmt, den Priester zu unterstützen. Er meistert die ungewohnte Aufgabe mit Sorgfalt – doch ausgerechnet im heiligsten Moment der Messe, der Erhebung der Hostie, fehlt das Glöcklein. Die entstehende Stille wirkt bedrohlich, beinahe wie ein böses Omen. In dieser Spannung offenbart sich jedoch der eigentliche Wert des Narren: Statt in Panik zu verfallen, schüttelt er einfach seine Kappe, deren Schellen den notwendigen Klang ersetzen – eine spontane, kindliche Lösung, die dennoch den gewünschten liturgischen Effekt erzielt.

Diese einfache Geste wird im letzten Vers symbolisch überhöht: Der göttliche Segen, die „Majestät“ des Himmels, offenbart sich nicht nur ungestört, sondern scheint sogar erfreut über die kindliche Unbefangenheit des Narren. Die Szene endet in einem zarten Wunder – Licht, Duft und ein göttliches Lächeln erfüllen den Raum. Es ist, als ob Gott selbst auf den kindlichen Einfall reagiert und ihn annimmt.

„Der Narr des Grafen von Zimmern“ ist damit weit mehr als eine anekdotische Erzählung. Es ist ein feinsinniges Gedicht über die Kraft der Unschuld, über das richtige Handeln im falschen Moment – und über die tiefe Menschlichkeit, die manchmal mehr vermag als Regel und Ritus. Gottfried Keller gelingt eine Balance aus Witz und Andacht, aus höfischer Szenerie und geistlicher Tiefe.

Weitere Informationen

Hier finden sich noch weitere Informationen zu diesem Gedicht und der Seite.

Lizenz und Verwendung

Dieses Gedicht fällt unter die „public domain“ oder Gemeinfreiheit. Gemeinfreiheit bedeutet, dass ein Werk nicht (mehr) durch Urheberrechte geschützt ist und daher von allen ohne Erlaubnis des Urhebers frei genutzt, vervielfältigt und verbreitet werden darf. Sie tritt meist nach Ablauf der gesetzlichen Schutzfrist ein, z. B. 70 Jahre nach dem Tod des Autors. Weitere Informationen dazu finden sich hier.